Der neue PRO ASYL-Bericht “PUSHED BACK” beleuchtet völkerrechtswidrige Zurückweisungen von Flüchtlingen an der türkisch-griechischen Land- und Seegrenze und stellt die Frage nach der Mitverantwortung der Europäischen Union.
Aufgriff von Flüchtlingen auf See mit vorgehaltener Waffe – in der Ägäis leider keine Seltenheit. An der griechisch-türkischen Land- und Seegrenze werden Flüchtlinge systematisch völkerrechtswidrig zurückgewiesen. Die meisten der von uns Befragten wurden während der Push-Back-Operationen misshandelt.
„Zwei kamen mit uns. Zwei maskierte Männer und der Kapitän waren an Bord. Zwei standen am Strand. Sie befestigten eines unserer Boote mit einem Seil und zogen uns zurück ins Meer. Dann löschten sie die Lichter und ließen nur ein Rücklicht an. Sie riefen: „Geht!“ Sie drängten uns zurück auf unser Boot und behandelten uns wie Tiere. Sie verschwanden. Als sie etwa 100 Meter entfernt waren, machten sie ihre Lichter wieder an.“ (A.K.)
„Sie brachten uns bis in die türkischen Gewässer und warfen uns, einen nach dem anderen, auf unser Boot. Einer von uns fiel ins Meer und wir zogen ihn wieder aus dem Wasser. Sie warfen uns weg, als wären wir Abfall. Dann schnitten sie das Seil durch.“ (A.K.N.)
Am 8. August 2013: Männer, Frauen und Kinder werden schutzlos in türkischen Gewässern ausgesetzt. Zuvor war die Gruppe von 46 Flüchtlingen von einem kleinen Polizeiboot aufgebracht worden, an Bord vier Männer mit Gesichtsmasken. Sie schlugen die Flüchtlinge mit Stöcken, traten sie, inhaftierten sie auf der unbewohnten griechischen Insel Farmakonisi, auf der sich eine Militärstation befindet. Die Flüchtlinge wurden nicht registriert, geschweige denn bekamen sie die Möglichkeit, einen Asylantrag zu stellen – leider kein Einzelfall.
Solche völkerrechtswidrigen Zurückweisungen an der türkisch-griechischen Land- und Seegrenze erfolgen systematisch.
Das ist das zentrale Ergebnis einer Recherche, die PRO ASYL vom Oktober 2012 bis September 2013 in Griechenland, der Türkei und Deutschland durchgeführt hat. Die Ergebnisse sind in dem Bericht „Pushed Back“ veröffentlicht.
Push Backs finden von griechischen Gewässern, von griechischen Inseln und von der Landgrenze statt. Die Mehrheit der Opfer sind syrische Flüchtlinge – darunter auch besonders schutzbedürftige Personen wie Kinder, Babys und Schwerstkranke – die Europa erreichen wollen, um internationalen Schutz zu suchen und zu ihren Familien in Ländern wie Deutschland, Schweden oder Großbritannien zu gelangen. Das Ausmaß und die Brutalität der Menschenrechtsverletzungen gegen Flüchtlinge sind schockierend. PRO ASYL hat 90 Personen interviewt. Die meisten berichteten, misshandelt worden zu sein. In den Fällen, in denen Flüchtlinge von der Insel Farmakonisi zurückgewiesen wurden, grenzten die Misshandlungen neun männlicher syrischer Flüchtlinge an Folter.
Mindestens 2.000 Menschen zurückgewiesen
Während die EU öffentlich ihr Engagement für die syrischen Flüchtlinge beteuert, werden deren grundlegende Menschenrechte an europäischen Grenzen verletzt. Allein nach den Augenzeugenberichten der interviewten Personen wurden mindestens 2.000 Schutzsuchende an griechisch-türkischen Land- und Seegrenzen zurückgewiesen. Die Verschiebung der Fluchtrouten von der Evros Region zurück in die Ägäis als Reaktion auf die Schließung der Landgrenze im Sommer 2012 führte vielfach zum Tod von Flüchtlingen. Seit August 2012 haben 149 Personen, hauptsächlich syrische und afghanische Flüchtlinge ihr Leben in diesen Gewässern verloren.
Europäische Komplizenschaft
Der Bericht von PRO ASYL klagt die griechische Regierung, die Grenzpolizei und die Küstenwache aufgrund dieser Praktiken an und wirft die Frage nach einer weitergehenden europäischen Komplizenschaft auf. Das gesamte griechische Asyl- und Migrationssystem basiert auf einer erheblichen Unterstützung und Finanzierung durch die EU. Auch Frontex ist seit Jahren in Griechenland im Einsatz – dennoch schweigen die Entscheidungsträger in Berlin, Wien und im restlichen Europa über die Menschenrechtsverletzungen.
Frontex muss die Operationen in Griechenland beenden
Die Ergebnisse des vorliegenden Berichtes stellen außerdem das Engagement der Europäischen Union und insbesondere der Frontex-Operation „Poseidon Land and Sea“ in Frage. Abgesehen von wenigen Ausnahmen fanden alle dokumentierten Push Backs im Operationsgebiet von Frontex statt. PRO ASYL stellt daher die Frage nach der Beteiligung von Frontex an den Menschenrechtsverletzungen. Aufgrund der Häufigkeit und Schwere der Menschenrechtsverletzungen in Griechenland muss Frontex seine Operationen in dem Land beenden. Dies ist in der Frontex-Verordnung von 2011 vorgesehen. Zusätzlich muss jegliche europäische Finanzierung von Flüchtlingsabschreckung in Griechenland umfänglich evaluiert werden.
Die kommende Ratspräsidentschaft
Am 1. Januar 2014 wird Griechenland die Präsidentschaft des Europäischen Rates übernehmen.
PRO ASYL ruft die griechische Regierung dazu auf, ihr berechtigtes Eintreten für mehr Solidarität bei der Flüchtlingsaufnahme durch die Beachtung von Flüchtlings- und Menschenrechten zu untermauern.
PRO ASYL fordert, dass die völkerrechtswidrigen Praktiken der Zurückweisung und Misshandlungen von Schutzsuchenden unverzüglich beendet werden.
Alle EU-Mitgliedstaaten sind dazu aufgerufen, Visabestimmungen zu lockern, die Definition von Familienzusammenführung zu erweitern, und Visa aus humanitären Gründen für Flüchtlinge – vor allem für diejenigen aus Syrien – im türkischen Transit zu erteilen. Dies würde einen sicheren und legalen Zugang zum Territorium der EU ermöglichen.
Flüchtlinge und Asylsuchende, die in Griechenland festsitzen, brauchen ein Recht auf eine legale Weiterreise in andere europäische Staaten, wo ihre Familien leben und wo sie eine Chance haben, Schutz zu erhalten.
Quelle: www.proasyl.de