Ungleichheit der Einkommen: Trendwende steht immer noch aus

Die Einkommen in Deutschland sind heute deutlich ungleicher verteilt als vor 10 oder 20 Jahren. Besonders stark hat sich die Schere zwischen 2000 und 2005 geöffnet. Zwar gibt es Hinweise darauf, dass die Ungleichheit seitdem wieder etwas abgenommen hat: Der Anteil der Löhne am Volkseinkommen ist nach jahrzehntelanger Erosion wieder angestiegen.

Zu diesem Ergebnis kommt der neue Verteilungsbericht des Wirtschafts- und Sozialwissenschaftlichen Instituts (WSI) in der Hans-Böckler-Stiftung.  Für die Studie haben Prof. Dr. Brigitte Unger, Dr. Reinhard Bispinck, Dr. Toralf Pusch, Dr. Eric Seils und Dr. Dorothee Spannagel vom WSI zahlreiche nationale und internationale Statistiken ausgewertet und verschiedene Indikatoren berechnet.

Kernergebnisse im Einzelnen:

Lohnquote: Leichter Anstieg nach langem Rückgang. In fast allen Industrieländern sind die Lohnquoten seit den 1980er Jahren gefallen. Der Anteil der Arbeitseinkommen am Volkseinkommen ging also zurück, während das Gewicht der Kapital- und Gewinneinkommen zunahm, die vor allem einem relativ kleinen Personenkreis zufließen. In Deutschland sank die bereinigte Bruttolohnquote zwischen Mitte der 1980er Jahre und 2007 von rund 78 auf etwa 63 %. In der globalen Wirtschaftskrise und danach stieg sie wieder an – bis 2012 auf 68,4 %. Allerdings haben die Wissenschaftler Zweifel, dass der Trend von Dauer ist. Denn er beruht nicht nur darauf, dass seit der erfolgreichen Krisenüberwindung in Deutschland die Löhne im Durchschnitt wieder stärker steigen. Auch die Renditeschwäche vieler Kapitalanlagen prägt derzeit die Statistik.

Schwäche der 2000er Jahre noch nicht aufgeholt. Zudem sei die geringe durchschnittliche Lohnentwicklung in den 2000er Jahren noch nicht wieder wettgemacht, betonen die Forscher. Die traf viele Arbeitnehmer, vor allem in Dienstleistungsbranchen und insbesondere die wachsende Gruppe von Beschäftigten, die nicht nach Tarif bezahlt werden. So stiegen branchenübergreifend die durchschnittlichen Tariflöhne zwischen 2000 und 2012 real, also nach Abzug der Inflation, um insgesamt 6,8 %. Noch weitaus schwächer entwickelten sich die Bruttoeffektiveinkommen, eine Größe, die unter anderem auch die Löhne der nicht tariflich bezahlten Beschäftigten berücksichtigt: Real lagen sie 2012 noch um knapp zwei Prozent niedriger als zur Jahrtausendwende. Der aktuelle Wiederanstieg der Lohnquote in Deutschland sei daher noch keine „reine Erfolgsstory“, betont das WSI. Erst wenn die positive Lohnentwicklung stetig anhalte und sich noch verstärke, könne daraus ein nachhaltiger Trend werden.

Niedrige Lohneinkommen fallen zurück. Gegen die These einer signifikant nachlassenden Ungleichheit spricht nach Analyse des WSI auch die Entwicklung von niedrigen, mittleren und hohen Lohneinkommen. Um diese zu ermitteln, haben die Forscher Daten aus dem Sozio-oekonomischen Panel (SOEP) ausgewertet, einer Wiederholungsbefragung in mehr als 12.000 Haushalten. Da das SOEP trotz dieser großen Datenbasis sehr hohe und sehr niedrige Einkommen nicht besonders genau erfasst, teilen die Wissenschaftler die Haushalte mit Lohneinkommen in vier relativ große Gruppen auf. Die so genannten Quartile umfassen jeweils 25 % der Haushalte, geordnet nach der Einkommenshöhe.

Sparquote: nur oben stabil. Auch bei den Vermögenseinkommen, deren Gewicht insgesamt zunimmt, ist die Ungleichheit in den vergangenen zwei Jahrzehnten kräftig gewachsen. Ein Indikator dafür ist die Entwicklung der einkommensspezifischen Sparquoten. Denn um Kapitaleinkommen zu erzielen, muss erst einmal Geld zurückgelegt werden. Berechnungen des WSI mit dem SOEP ergeben, dass nur das oberste Quartile seine Sparquote in den meisten Jahren seit 1991 bei neun bis zehn Prozent des verfügbaren Einkommens stabil halten konnte. Die ärmere Hälfte der Haushalte kann dagegen deutlich weniger sparen als noch Anfang der 1990er Jahre. Die Sparquoten in den beiden unteren Quartilen sackten von acht bis neun auf fünf bis sechs Prozent 2009 ab. Im Aufschwungsjahr 2010 legte zwar das unterste Quartile wieder zu – auf gut sechs Prozent. Da aber auch die einkommensstarken Einkommen mehr sparten, blieb der Abstand erhalten. Und da die Ersparnis der ärmeren Haushalte in absoluten Eurobeträgen gering ist, dürfte sie auch kaum in Kapitalanlagen fließen, die relevante Erträge abwerfen.

Um den Trend zu mehr Ungleichheit nachhaltig zu stoppen, empfiehlt das WSI Reformen in der Arbeitsmarkt- und der Steuerpolitik. Die Einführung eines gesetzlichen Mindestlohns und eine „Re-Regulierung im Bereich der prekären Beschäftigungsverhältnisse“ leisteten einen wichtigen Beitrag dazu, „Lohndumping zu begrenzen und eine Ausweitung des Niedriglohnsektors zu verhindern“. Darüber hinaus könne eine Stabilisierung des Flächentarifvertragssystems helfen, über das gesamte Tätigkeits- und Qualifikationsspektrum hinweg angemessene Einkommensbedingungen zu gewährleisten.

In der Steuerpolitik plädieren die Wissenschaftler dafür, die massive Absenkung des Spitzensteuersatzes seit 1999 zu korrigieren. Daneben sei eine stärkere Besteuerung von großen Vermögen nötig, um eine weitere Polarisierung der Einkommens- und Vermögensverteilung zu verhindern.

Weitere Informationen: Brigitte Unger, Reinhard Bispinck, Toralf Pusch, Eric Seils, Dorothee Spannagel: WSI-Verteilungsbericht 2013: Trendwende noch nicht erreicht. WSI Report 10, November 2013.

Quelle: www.boeckler.de

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