Die EU-Kommission hat einigen Ländern in der Europäischen Union mehr Zeit für ihren Sparkurs gegeben. Das hat nichts mit politischer Mauschelei zu tun, sondern ist gegenwärtig ökonomisch geboten. Denn zur falschen Zeit zu stark zu sparen schadet mehr, als es nutzt – davon können die Krisenländer ein Lied singen.
Was Brüssel für Griechenland schon im vergangenen Oktober beschlossen hat – mehr Zeit die Neuverschuldung unter die erlaubte Marke von 3 Prozent der Wirtschaftsleistung zu drücken –, gilt jetzt auch für Belgien, Frankreich, die Niederlande, Portugal, Slowenien und Spanien. Da kommt schnell der Verdacht auf, der gerade erst verschärfte Stabilitäts- und Wachstumspakt sei das Papier nicht wert, auf dem er geschrieben ist. Doch dieser Eindruck täuscht.
Regeln eingehalten. Der Euro-Stabilitätspakt erlaubt es durchaus, Fristen zu verlängern. Allerdings nur dann, wenn „unerwartete nachteilige wirtschaftliche Ereignisse mit sehr ungünstigen Wirkungen“ für die Staatsfinanzen eingetreten sind und die Staaten zugleich „wirksame“ Sparmaßnahmen ergriffen haben.
Die erste Bedingung ist zweifellos erfüllt. Denn als die Kommission die Fristen – für die meisten Staaten im Jahr 2009 – gesetzt hat, erholte sich Europa gerade von der Finanzkrise. Dann aber rutschten vor allem Griechenland und Portugal, aber auch viele andere Staaten erneut in eine Rezession. In Frankreich wuchs die Wirtschaft zuletzt deutlich langsamer als noch 2009 erwartet. Weil dadurch Steuereinnahmen wegbrachen und die Staatsausgaben stiegen, sind die Defizitziele nicht mehr fristgerecht zu erreichen – es sei denn, der Sparkurs würde drastisch verschärft.
Konsolidierung mit Augenmaß. Was passiert, wenn die Sparschraube zu stark angezogen wird, zeigt das Beispiel Griechenland. Dort ist es zu einem Teufelskreis aus Rezession und immer weiter sinkenden Staatseinnahmen gekommen, die man mit weiterem Sparen ausgleichen wollte.
Selbstverständlich müssen die Schuldenstaaten weiter sparen – allerdings mit dem richtigen Timing. In einer unerwarteten Rezession zusätzlich auf die Ausgabenbremse zu treten und die Konjunktur noch weiter abzuwürgen ist kontraproduktiv. Gleichwohl muss das strukturelle – also um konjunkturelle Einflüsse bereinigte – Defizit weiter abgebaut werden. Das haben fast alle Länder geschafft.
Bis auf Zypern haben die Krisenstaaten ihre strukturellen Defizite seit 2009 deutlich gesenkt.
Griechenland zum Beispiel hat sein Minus von 15 Prozent des Bruttoinlandsprodukts (BIP) im Jahr 2009 auf 1 Prozent im vergangenen Jahr gedrückt – das ist Europarekord.
Dahinter stecken massive Einsparungen: Der griechische Staat hat seine Primärausgaben – das sind die Ausgaben ohne Zinszahlungen – seit 2009 um rund 29 Prozent gesenkt; Portugal kommt auf 13 Prozent, Spanien auf 10 Prozent. Wollte Deutschland allein nur die spanische Quote erreichen, müsste es mehr als 100 Milliarden Euro einsparen – das wäre fast die Hälfte aller Personalausgaben von Bund, Ländern und Gemeinden.
Um ihre Einsparungen zu realisieren, mussten die Krisenländer ihren Bürgern einiges abverlangen. Überall sind die Gehälter im öffentlichen Dienst gekürzt, Arbeitszeiten verlängert und Zuschläge wie das Weihnachts- oder Urlaubsgeld gestrichen worden. Hinzu kommen Kürzungen bei den Renten und teils auch beim Arbeitslosengeld sowie ein höheres Renteneintrittsalter.
Höhere Steuereinnahmen. Auch auf der Einnahmenseite haben viele Staaten trotz Rezession einiges erreicht. So ist die Mehrwertsteuer angehoben worden, es gibt höhere Einkommenssteuern für Wohlhabende, Sonderabgaben auf Vermögen und Immobilien sowie Luxussteuern auf Yachten, Privatflugzeuge und große Autos.
Und last, but not least: Zwar zeigt die Finanzwelt derzeit gerne mit dem Finger auf die Schuldenstaaten in Europa – tatsächlich aber steht der Euroraum mit einer Schuldenquote von knapp 93 Prozent des BIP immer noch besser da als beispielsweise die USA mit 108 Prozent. Ganz zu schweigen von Japan, das sogar mit fast 240 Prozent seiner Wirtschaftsleistung in der Kreide steht.
Zudem sind die Euroländer in Sachen Haushaltskonsolidierung deutlich weiter vorangekommen als die Nicht-Eurostaaten. Nach Angaben der OECD – die anders rechnet als die EU-Kommission – betrug das strukturelle Haushaltsdefizit 2012 in Japan noch 9,5 Prozent, in den USA 7,4 Prozent und im Vereinigten Königreich 5,5 Prozent des BIP – die Eurozone aber kam nur auf 2,3 Prozent und selbst Griechenland schnitt mit 3,7 Prozent besser ab.
Quelle: iwkoeln.de