Ist eine Einigung zwischen Griechenland und seinen Gläubigern in weite Ferne gerückt? Mitnichten, sagt Gustav Horn, Direktor des Instituts für Makroökonomie und Konjunkturforschung (IMK): ein Fakten-Check zu Primärüberschuss, Steuerreform, Umschuldung und Rettungsfonds.
Eine tragfähige, für alle Seiten ökonomisch und politisch sinnvolle Lösung der griechischen Schuldenkrise ist kurzfristig möglich. Die Positionen Griechenlands und seiner Gläubiger sind durchaus kompromissfähig. Darauf weist Prof. Dr. Gustav Horn hin, der wissenschaftliche Direktor des Instituts für Makroökonomie und Konjunkturforschung (IMK) in der Hans-Böckler-Stiftung. Der heutige EU-Sondergipfel könne einen Durchbruch bringen.Horn schlägt internationalen Vermittler vor Gelinge das nicht, empfiehlt Horn weitere Verhandlungen, die eine international anerkannte Persönlichkeit als Vermittler leiten solle.
„Bei nüchterner Betrachtung liegen die Positionen in zentralen Fragen nicht so weit auseinander, wie es die auf beiden Seiten emotional aufgeladene Debatte suggeriert“, sagt Horn. „Das Hauptproblem scheint mir mittlerweile die Psychologie zu sein. Die Verhandlungen werden geführt wie eine Pokerpartie, bei der eine Seite gewinnen kann. Aber das trifft nicht zu: Bei einem Grexit oder einem Graccident verlieren alle. Die Gefahr einer Ansteckung anderer Länder besteht nach wie vor. Europa sollte keinen weiteren „Lehman-Moment“ riskieren, sondern die erkennbaren Kompromisslinien in den wichtigsten Fragen verfolgen.“ Die skizziert der IMK-Chef so:
Fakten-Check
1.Primärüberschuss
Griechenland benötigt bei Ausklammerung der Zinszahlungen für Altschulden einen Haushaltsüberschuss, um den bestehenden Schulden nicht noch neue hinzuzufügen. Das ist zwischen Athen und seinen Gläubigern unstrittig. Die griechische Regierung gibt sich in diesem Punkt verhandlungsbereit, sie hat ursprünglich einen Primärüberschuss von 0,6 Prozent des Bruttoinlandsproduktes für 2015 angeboten, der sich bis 2022 auf 3,5 Prozent erhöhen soll. Die Institutionen fordern einen Einstieg bei einem Prozent. In absoluten Zahlen liegt die Differenz in diesem Jahr bei etwas unter einer Milliarde Euro. „Das ist nicht der Rede wert“, sagt Horn. „Die griechische Regierung ist ja bereit, weiter zu sparen, aber etwas weniger als gefordert.“
Dies könne sich sogar als Vorteil erweisen, weil ein zu harter Sparkurs die wirtschaftliche Entwicklung weiter schädigen würde. Wenn die fragliche knappe Milliarde für Investitionen verwendet würde, könnte nach Berechnungen des IMK das griechische Wirtschaftswachstum um gut ein halbes Prozent höher als beim Vorschlag der Institutionen ausfallen, was gleichfalls zur Minderung der Schuldenlast beitragen würde. „Warum also nicht auf den griechischen Vorschlag eingehen, die Regierung aber gleichzeitig darauf verpflichten, den größeren Spielraum für Investitionen zu verwenden“, bekräftigt Horn Vorschläge, die er vor einigen Tagen gemeinsam mit dem DGB-Vorsitzenden Reiner Hoffmann und der Politikwissenschaftlerin Prof. Dr. Gesine Schwan in einem Artikel formuliert hat.
2. Steuerreform
Der effektive Mehrwertsteuersatz soll erhöht werden, auch hier seien sich Athen und seine Gläubiger im wesentlichen einig, erklärt Horn. Umstritten sei die soziale Differenzierung, also der Umfang ermäßigter Steuersätze für lebenswichtige Güter. „Auch diese Gegensätze sind überbrückbar, wenn man es will“. Zumal für die griechische Position spreche, dass die niedrigen Einkommen unter den bisherigen Sparbemühungen besonders gelitten haben, wie eine vom IMK geförderte Untersuchung zeigt: Zwischen 2008 und 2012 brachen die verfügbaren Einkommen der griechischen Privathaushalte im Mittel um ein knappes Drittel ein – niedrige und mittlere Einkommen waren besonders stark betroffen.
3. Umschuldung von der EZB auf den Rettungsfonds ESM
Die griechische Regierung plädiert dafür, Griechenlands Schulden beim IWF und der EZB auf den Europäischen Notfallfonds (ESM) zu verlagern. Die Umschuldung will Athen verbinden mit einer Verlängerung der Rückzahlungsfristen, damit Investoren eine längere Perspektive ökonomischer Sicherheit haben.
Während die europäischen Gläubiger das ablehnen, kommt die Verlagerung auf den ESM nach Horns Analyse dem IWF entgegen. Es wäre zudem ein Schritt, der Griechenland aufgrund der längeren Fristen „die notwendige Luft verschaffen würde, sich zu erholen.“ Vernünftig ist aus Sicht des Ökonomen auch der Vorschlag, die Rückzahlung an das Wachstum in Griechenland koppeln. „Griechenland würde hohe Rückzahlungen leisten, wenn es stark wächst und geringe, wenn dies nicht der Fall ist.“ So gingen auch Banken mit ihren Schuldnern, um Forderungsausfälle zu vermeiden. „Und das liegt auch im Interesse von Deutschlands Steuerzahlern.“
Schwieriger werde eine Kompromisssuche bei den Themen Rentenreform und Arbeitsmarkt. Diese seien aber im Moment nicht vordringlich für eine rasche Lösung der zentralen Probleme, betont Horn. „Weitere überstürzte Kürzungen wären schädlich. Diese Reformen müssen langfristig angelegt sein und alle relevanten Informationen einbeziehen. So blenden beispielsweise schematische Forderungen nach einer Rente mit 67 für Griechen aus, dass die demografische Situation dort in den nächsten zwei bis drei Jahrzehnten noch günstiger ist als beispielsweise in Deutschland.“
Sollte der heutige (22.062015) Sondergipfel nicht den erhofften Durchbruch bringen, dürften die Gespräche nicht abreißen, betont Horn. Der Wissenschaftler empfiehlt für diesen Fall, eine von beiden Seiten anerkannte Persönlichkeit als Vermittler oder Schlichter hinzuzuziehen. Dafür sei beispielsweise der Generalsekretär der Industrieländerorganisation OECD, Angel Gurria geeignet oder die Führung der Internationalen Arbeitsorganisation ILO.
Quelle: www.dgb.de