Gibt es wirklich nennenswerte Armut in einem reichen Land wie Deutschland, wo fast alle genug zu essen und Zugang zu medizinischer Versorgung haben? Ja, denn auch Menschen in „relativer“ Armut haben mit schweren Einschränkungen zu kämpfen.
Der Begriff Armut ist „seit jeher genauso umstritten wie umkämpft“, schreibt der Armutsforscher Christoph Butterwegge. Als Beispiel verweist der Kölner Professor auf eine „äußerst polemische Medienkampagne“, die im vergangenen Jahr der Veröffentlichung neuer Armutszahlen des Paritätischen Gesamtverbands gefolgt sei. Unter anderem wurde dem Sozialverband vorgeworfen, seine Armutsdefinition sei willkürlich und so angelegt, dass die Statistik immer Armut ausweise, egal, wie stark der Wohlstand der Deutschen wachse. Beide Behauptungen sind unzutreffend, analysiert Butterwegge. Die Angriffe auf den in der Wissenschaft etablierten Begriff der „relativen“ Armut dienten vor allem dazu, Forderungen nach mehr Umverteilung von oben nach unten abzuwehren, so der Politikwissenschaftler.
Zwar gibt es kein unbestreitbares, für alle Menschen auf der Welt gleichermaßen gültiges Kriterium, nach dem sich bestimmen ließe, wer arm ist. Aber dies kann es dem Forscher zufolge auch gar nicht geben, denn Armut ist immer eine Frage des wirtschaftlichen und sozialen Umfelds. Wer zum Beispiel über 500 Euro im Monat verfügt, kann in Litauen anständig leben, in Luxemburg aber kaum ein Zimmer mieten. Um dieser Schwierigkeit gerecht zu werden, nähert sich die Forschung der Armut in verschiedenen Schritten.
Am Anfang steht die Unterscheidung zwischen absoluter und relativer Armut. Als absolut arm gilt, wer nicht einmal die physischen Grundbedürfnisse befriedigen kann: Nahrung, Kleidung, Wohnung, medizinische Grundversorgung. Diese Form von Armut ist in Deutschland nicht die dominierende, aber durchaus existent. Schätzungen kamen zum Beispiel für das Jahr 2005 auf 200.000 bis 800.000 Personen, denen es am Nötigsten fehlte.
Weiter verbreitet ist hierzulande relative Armut, die die Teilnahme am „normalen“ gesellschaftlichen Leben verhindert. Weiterlesen