Berlin – Die Qualität der Patientenversorgung in Deutschland ist gut. So sieht es die Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (OECD) in ihrem aktuellen Bericht „Gesundheit auf einen Blick“, in dem sie Gesundheitsdaten aus den OECD-Ländern miteinander verglichen hat. Zum Beispiel sei die Überlebensrate nach einem Schlaganfall in Deutschland hoch, erklärte der stellvertretende Generalsekretär der OECD, Stefan Kapferer, am Montag, den 02.November, bei der Vorstellung des Berichts.
Wie in anderen OECD-Ländern auch steige zudem die Lebenserwartung in Deutschland weiter an: jede Dekade um durchschnittlich etwa drei Jahre. Kapferer wies darauf hin, dass die Lebenserwartung in den USA im Jahr 1970 noch oberhalb des OECD-Durchschnitts gelegen habe. Inzwischen habe das Land jedoch an Boden verloren. „Daran sieht man: Es macht einen Unterschied, wie ein Gesundheitssystem organisiert ist“, so der frühere Staatssekretär im Bundesgesundheitsministerium.
Zu viele adipöse Menschen
Kapferer erklärte, dass die Herz-Kreislauf-Erkrankungen in Deutschland stark zurückgegangen seien. „Mit Sorge sehen wir jedoch den anhaltenden Anstieg von Adipositas“, fuhr er fort. Das gefährde Verbesserungen, die in anderen Bereichen erzielt worden seien. In vielen europäischen Ländern wie Norwegen, Italien, der Schweiz oder den Niederlanden gebe es deutlich weniger Menschen mit Adipositas. Hier bestehe ein erheblicher Handlungsbedarf.
Er lobte hingegen, dass die Zahl der Hüftoperationen im Jahr 2013 erstmals seit Jahren leicht zurückgegangen sei. „Das führen wir auch darauf zurück, dass die Krankenkassen hier verstärkt kontrollieren. Das ist ausdrücklich zu begrüßen“, so Kapferer. Allerdings falle in Deutschland eine regionale Ungleichverteilung auf.
Trotz des Rückgangs der Operationen liegt Deutschland mit 283 eingesetzten Hüftendoprothesen pro 100.000 Menschen auf dem zweiten Platz hinter der Schweiz (292 Operationen) und vor Österreich (276) und Belgien (246). Der OECD-Durchschnitt liegt bei 161. In Europa werden am wenigsten Hüften in der Türkei (44), Polen (85) und Portugal (88) ersetzt.
Zu viele Krankenhausbetten
Wie auch die Bundesregierung bezeichnete Kapferer die Anzahl der Krankenhausbetten in Deutschland als zu hoch. Zwar sei ihre Zahl schon reduziert worden, „aber langsamer, als man das unter Kostengesichtspunkten für sinnvoll halten würde“. Mit dem geplanten Strukturfonds wollen Bund und Länder den Abbau von Krankenhausbetten vorantreiben.
Bei der Anzahl der Krankenhausbetten liegt Deutschland auf dem vierten Rang mit 8,3 Betten pro 1.000 Menschen. Vor Deutschland liegen Japan (13,3 Betten), Korea (11 Betten) und Russland (9,1 Betten). In Europa stehen die wenigsten Krankenhausbetten in Schweden (2,6 Betten pro 1.000 Menschen), der Türkei (2,7 Betten) und Großbritannien (2,8 Betten).
Die nach Deutschland kommenden Flüchtlinge haben Kapferer zufolge keinen Einfluss auf die Notwendigkeit, Krankenhausbetten abzubauen. Denn im Vergleich zur Gesamtbevölkerung sei die Zahl der Flüchtlinge vergleichsweise gering. Zudem würden die Flüchtlinge, die zumeist jünger als 40 Jahre alt seien, Krankenhausleistungen unterdurchschnittlich nachfragen.
Als problematisch sieht die OECD den stetigen Rückgang des Anteils von Hausärzten an der gesamten Arztzahl: Dieser sei in den vergangenen Jahren von über 50 Prozent auf etwas über 40 Prozent gesunken, sagte Kapferer. Die Primärversorgung müsse daher in Deutschland gestärkt werden. Dadurch seien auch deutlich teurere Krankenhausfälle zu vermeiden. In anderen Ländern würden zum Beispiel mehr Diabetes-Patienten ambulant versorgt. Zwischen 2008 und 2013 habe die Anzahl der Krankenhausfälle in Deutschland in diesem Bereich nur minimal abgenommen. In anderen Länder hingegen viel stärker.
Auch seien Ärzte in Deutschland vergleichsweise alt. Während im OECD-Durchschnitt 33 Prozent aller Ärzte über 55 Jahre alt sind, sind es in Deutschland 42 Prozent. Übertroffen wird Deutschland hier nur von Belgien (43 Prozent), Estland (44 Prozent), Frankreich (45 Prozent), Italien und Israel (beide 49 Prozent).
„Der Personalbedarf ist hoch“, konstatierte Kapferer. Daher müsse die Ausbildungsrate in Deutschland erhöht werden. Andere Länder wie Großbritannien hätten in der Vergangenheit deutlich mehr Ärzte ausgebildet als Deutschland.
Kurze Wartezeiten
Den Zugang zum Gesundheitssystem in Deutschland bezeichnete Kapferer als „traditionell sehr gut“. Es gebe kurze Wartezeiten, übersichtliche Eigenleistungen und ausgeprägte Wahlmöglichkeiten. Im internationalen Vergleich seien die Wartezeiten „sehr gering“. Die Wartezeitendebatte in Deutschland bezeichnete er daher als „Phantomdebatte“.
Überdurchschnittlich hoch sei in Deutschland auch die Inanspruchnahme des Systems. Es gebe eine hohe Zahl an elektiven Leistungen sowie an Arztbesuche. Im OECD-Durchschnitt besuchte ein Patient 6,6, Ärzte im Jahr 2013. In Deutschland waren es 9,9. Vor Deutschland liegen unter anderem Japan (12,9 Arztbesuche), Tschechien (11,1) und Russland (10,5). Am seltensten gehen die Patienten in Südafrika (2,5 Arztbesuche pro Person), Finnland (2,6) und Brasilien (2,7) zum Arzt.
Zu teuer
Auch die Gesundheitsausgaben sind in Deutschland hoch. Im Durchschnitt lagen sie im Jahr 2013 bei 4.819 Dollar pro Person. Im OECD-Durchschnitt waren es 3.453 Dollar. Vor Deutschland lagen nur Schweden (4.904 Dollar), die Niederlande (5.131 Dollar), Norwegen (5.862 Dollar), die Schweiz (6.325 Dollar) und die USA (8.713 Dollar).
Das Arzneimittelmarktneuordnungsgesetz (AMNOG) bewertet die OECD als Erfolgsgeschichte, weil es zu erheblichen Einsparungen geführt habe, so Kapferer. Dennoch lagen die Arzneimittelausgaben in Deutschland im Jahr 2013 mit 678 Dollar pro Einwohner um etwa 30 Prozent höher als im OECD-Durchschnitt. Ein Grund dafür sind neue, besonders teure Arzneimittel wie Medikamente gegen Hepatitis C.
Weit vorne liegt Deutschland dem OECD-Bericht zufolge bei dem Konsum von Antihypertensiva und Antidiabetika. Auch der Konsum von Antidepressiva ist in Deutschland in der Vergangenheit deutlich angestiegen, liegt aber noch knapp unter dem Durchschnitt.
Zu viele Raucher
Unter dem Durchschnitt liegt Deutschland ebenfalls bei dem Erfolg von Präventionsmaßnahmen. So gibt es in Deutschland mehr Raucher, die täglich Zigaretten rauchen, als in der OECD. Rauchen in der OECD etwas weniger als 20 Prozent der Menschen über 14 Jahre täglich, sind es in Deutschland etwa 21 Prozent. Am höchsten ist dieser Anteil in Griechenland (39 Prozent), Indonesien (38 Prozent) und Lettland (35 Prozent), am niedrigsten in Schweden (elf Prozent), Brasilien und Island (beide zwölf Prozent).
„In Bereichen, die eine individuelle Entscheidung der Menschen betreffen, schneidet Deutschland bei den Präventionsanstrengungen schlecht ab, neben dem Rauchen auch beim Alkoholkonsum oder bei der Adipositas“, sagte Kapferer. „Da muss Deutschland noch mehr Anreize setzen.“ © fos/aerzteblatt.de
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