In den vergangenen drei Jahrzehnten hat die Ungleichheit in den meisten Industriestaaten zugenommen. Das schadet der gesamten Wirtschaft in den betroffenen Ländern. Zu diesem Ergebnis kommt der Sozialbericht der Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (OECD).
Wenn große Teile der Bevölkerung aufgrund wachsender Ungleichheit abgehängt werden, nutzten Volkswirtschaften nur einen Teil ihres Potenzials, heißt es in dem Bericht. Nach Berechnungen der Autoren hat die zunehmende Ungleichheit dazu geführt, dass die Wirtschaft in 19 untersuchten Ländern zwischen 1990 und 2010 um 4,7% weniger gewachsen ist, als das bei unveränderter Ungleichheit der Fall gewesen wäre.
Die Kluft zwischen Arm und Reich ist der OECD zufolge in Deutschland besonders groß: Die reichsten zehn Prozent besitzen nahezu 60% des gesamten Nettohaushaltsvermögens. Der Wert liegt deutlich über dem OECD-Durchschnitt von 50%. Forscher des DIW schätzen den Anteil des obersten Zehntels in einer aktuellen, von der Hans-Böckler-Stiftung geförderten Studie sogar auf 63 bis 74%.
Nicht ganz so ungleich verteilt sind die Einkommen hierzulande, allerdings geht auch dabei die Schere auseinander: In den 1980er-Jahren verdienten die oberen zehn Prozent in der Einkommensverteilung etwa fünfmal so viel wie die unteren zehn Prozent, inzwischen sind es 6,6-mal so viel. Im Durchschnitt der OECD liegt das Verhältnis fast bei zehn zu eins.
Atypische Beschäftigung vergrößert Ungleichheit
Besonders stark haben sich die Einkommen in Deutschland in der ersten Hälfte der 2000er-Jahre auseinanderentwickelt. Dies hängt laut OECD mit der Zunahme von atypischer Beschäftigung – Teilzeit, befristete Arbeit oder Minijobs – in diesem Zeitraum zusammen. Die Zahl solcher Jobs sei zwischen 1995 und 2007 um 13% gestiegen. Im Vergleich mit sogenannten Normalbeschäftigten seien atypisch Beschäftigte meist schlechter gestellt – sie verdienten weniger und seien eher von Armut bedroht. Es reiche daher nicht aus, allein auf die Zahl der Jobs zu schauen, ebenso wichtig sei die Qualität, heißt es in dem Bericht. In den vergangenen Jahren ist die Einkommensungleichheit in Deutschland zwar nicht weiter gewachsen, aber auch nicht spürbar kleiner geworden – trotz der kräftig gesunkenen Arbeitslosigkeit.
Für problematisch hält die Organisation, dass in Deutschland viel weniger Frauen in Vollzeit arbeiten als Männer. Rechnet man sämtliche Arbeitsstunden auf Vollzeitstellen um, liegt die Beschäftigungsquote von Frauen nur bei 52%, die von Männern bei rund 77%. Eine stärkere Erwerbsbeteiligung von Frauen könne die Ungleichheit verringern, so die OECD.
Zudem müssten Menschen aus sozial schwächeren Schichten stärker unterstützt werden, vor allem bei der Bildung. Dazu müsse auch die Umverteilung über Steuer- und Sozialsysteme verbessert werden. Der Anteil der erwerbslosen Haushalte sei zwar in Deutschland niedriger als in anderen Ländern, allerdings „ist auch die armutsmindernde Wirkung des Steuer- und Transfersystems geringer“.
Die OECD-Experten fordern von der deutschen Politik:
-den Zugang von Frauen in Vollzeitbeschäftigung zu erleichtern, etwa durch den Ausbau von ganztägiger Betreuung für Kleinkinder sowie eine Reform des Ehegattensplittings,
-mehr Unterricht in Ganztagsschulen anzubieten und die Qualität frühkindlicher Bildungs- und Betreuungsangebote zu verbessern, besonders für Kinder aus sozial schwachen Familien,
-benachteiligte Jugendliche darin zu unterstützen, eine Ausbildung zu absolvieren,
-die starke Gliederung des Schulsystems zu reduzieren,
-die Sozialversicherung von geringfügig Beschäftigten zu verbessern,
-die Steuerbemessungsgrundlage zu erweitern sowie Vermögen und Erbschaften stärker zu besteuern,
-die Sozialversicherungsbeiträge für Geringverdiener in Vollzeittätigkeiten zu senken.
Quelle: www.boeckler.de