Am 16. Oktober 2012 trat Gesundheitskommissar Dalli überraschend zurück. Wie er wenige Tage später der Presse erklärte, war er zu diesem blitzartigen Rücktritt von Kommissionspräsident Barroso gedrängt worden.
In den folgenden Tagen erfuhr die Öffentlichkeit die Hintergründe des „Rausschmisses”: Im Mai 2012 hatte der schwedische Tabakkonzern Swedish Match sich mit dem Vorwurf an die Kommission gewandt, dass ein maltesischer Lobbyist und Bekannter von Dalli angeblich „im Namen von Dalli” an den Konzern herangetreten sei – und Geld gefordert hatte. Im Gegenzug habe er in Aussicht gestellt, die derzeit laufende Verschärfung der Tabakrichtlinie im Sinne von Swedish Match beeinflussen zu können. Zu den Produkten des schwedischen Unternehmens zählt ein rauchfreies Tabakprodukt namens Snus, das in Schweden vertrieben, aber nicht in andere EU-Länder exportiert werden darf. Swedish Match ist seit Langem bemüht, dieses Exportverbot zu durchbrechen.
Die ermittelnde Antibetrugsbehörde der EU OLAF konnte zwar keine direkte Beteiligung des EU-Kommissars nachweisen – Dalli soll aber von dem Angebot gewusst haben. Aus den zusammengetragenen Indizien lasse sich schlüssig folgern, so hieß es auf einer Pressekonferenz am 17.Oktober von EU-Kommission und OLAF, dass Dalli über die Avancen des mit ihm bekannten maltesischen Unternehmers im Bilde war.
Wie diese Indizien aussehen, weiß allerdings nicht einmal der entlassene Kommissar. Die genauen Inhalte des Berichts und damit die genauen Vorwürfe gegen Dalli sind bis heute nicht öffentlich. Auch Dalli hat nie den gesamten Bericht gesehen – ihm wurde vor seiner Entlassung lediglich die Zusammenfassung des Berichts verlesen. Dalli bestreitet die Vorwürfe und behauptet, es habe sich um eine Intrige der Tabaklobby gehandelt.
Bestechungsskandal oder Intrige der Tabaklobby?
Dalli bereitete eine Erneuerung der Tabakproduktrichtlinie vor, die für die Tabakindustrie unangenehme Folgen gehabt hätte: Vereinheitlichung der Verpackungen mit großen, abschreckenden Bildern, Werbeverbote an Verkaufspunkten – Dalli galt vielen Gesundheitsaktivisten als Verbündeter im Kampf gegen die traditionell einflussreiche Tabaklobby. Nun ist die Richtlinie zunächst einmal auf unbestimmte Zeit verschoben. Ein Grund zum Jubeln für die Tabakindustrie. Hinzu kommen Ungereimtheiten und Merkwürdigkeiten, die Dallis Version der Geschichte an Glaubwürdigkeit gewinnen lassen.
Glaubwürdigkeit Barrosos steht durch zahlreiche Ungereimtheiten auf dem Spiel
So hatte Swedish Match laut eigenen Aussagen zwar bereits im Februar das Bestechungsangebot des maltesischen Lobbyisten Silvio Zammit ausgeschlagen und der schwedischen Regierung gemeldet. Zugleich war aber die Lobbyorganisation European Smokeless Tobacco Council (ESTOC), die sich für den europaweiten Verkauf von Kautabak einsetzt, noch in E-Mail-Kontakt mit Zammit. In einer E-Mail vom 16. März fragte ESTOC, ob Zammit gegen Geld ein Treffen mit Dalli arrangieren könnte. Zwischen ESTOC und Swedish Match gibt es aber eine enge personelle Verbindung: So ist der Vorsitzende der Lobbyorganisation, der Schwede Patrik Hildingsson, zugleich Leiter der Öffentlichkeitsarbeit von Swedish Match.
Damit stellt sich die Frage: Wenn Swedish Match im Februar den Kontakt abbrach, warum hatte ESTOC dann weiterhin Kontakt mit Zammit? Und warum beschwerte sich Swedish Match erst im Mai 2012 bei der Kommission?
Auffallend ist auch, dass die Generalsekretärin der EU-Kommission und enge Mitarbeiterin von Barroso, Catherine Day, sich offenbar mehrfach persönlich darum kümmerte, die weitgehenden Vorschläge von Dalli auszubremsen. So habe sie laut Spiegel beispielsweise am 25. Juli einen zweiseitigen Brief an die Chefin von Dallis Gesundheitsdirektion Sanco geschickt, „dessen Absender auch die Tabaklobby hätte sein können” (so der Spiegel). Sie kritisierte „den allgemeinen Bann von rauchlosen Tabakprodukten“, stellte „die Behandlung von nikotinhaltigen Produkten“ in Frage und erhob Bedenken gegen „die vorgesehenen Bestimmungen beim Zigarettenverkauf“.
Zumindest nachdenklich macht auch der Umstand, dass die Antibetrugsbehörde OLAF von der Zigarettenindustrie mit Geld und Informationen im Kampf gegen Zigarettenschmuggel und Zigarettenfälscher unterstützt wird. Der Spiegel folgert: „In der undurchsichtigen Affäre geht es längst um mehr als um den rätselhaften Rücktritt eines maltesischen Gesundheitspolitikers. Es geht um die Glaubwürdigkeit der gesamten EU-Kommission.”
Auch das europäische Parlament fühlt sich unzureichend informiert und hat inzwischen 154 Fragen zu dem Fall an Kommissionspräsident Barroso geschickt. Der Druck auf Barroso steigt. Helfen Sie uns, dafür zu sorgen, dass die EU-Kommission die genauen Ereignisse nicht unter den Teppich kehren kann.
Quelle: LobbyControl – Initiative für Transparenz und Demokratie e.V.
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