Der Euroraum wird im kommenden Jahr die hartnäckige Rezession hinter sich lassen, die dieses Jahr noch geprägt hat. Damit ist die Wirtschaftskrise aber keinesfalls überwunden. Schwaches Wachstum, hohe Arbeitslosigkeit und zunehmende Ungleichheit und Armut werden die wirtschaftliche, soziale und politische Situation in vielen EU- und Euro-Ländern weiterhin belasten.
Zu diesem Ergebnis kommen das Institut für Makroökonomie und Konjunkturforschung (IMK) in der Hans-Böckler-Stiftung, das Observatoire Francais des Conjonctures Economiques (OFCE, Paris) und der Economic Council of the Labour Movement (ECLM, Kopenhagen) in einer neuen Studie.
Die Untersuchung im Auftrag der Sozialdemokratischen Fraktion im Europäischen Parlament wurde am Mittwoch, den 04.12.2013 in Brüssel vorgestellt. Bei der Präsentation ist auch EU-Wirtschaftskommissar Olli Rehn anwesend. Die Kommission hat vor zwei Wochen ihre „Annual Growth Survey“ veröffentlicht und kommt darin zu einer deutlich optimistischeren Einschätzung der Situation. Zu Unrecht, analysieren die Experten von IMK, OFCE und ECLM.
Nach den Berechnungen der drei Institute wird das Bruttoinlandsprodukt (BIP) 2013 im Durchschnitt der Währungsunion um 0,3 % zurückgehen und 2014 um lediglich ein Prozent wachsen. Am stärksten geht das BIP in den Euro-Krisenländern zurück. In ihnen schrumpft die Wirtschaft in diesem Jahr um Werte zwischen 4,1 % (Griechenland) und 0,5 % (Irland). Doch auch die Niederlande (-1,1%) oder Finnland (-0,9%) bleiben 2013 in der Rezession, Belgien (0%) und Frankreich (0,1%) sind nicht weit davon entfernt. Deutschland steht noch vergleichsweise gut da, verzeichnet aber nur ein Mini-Wachstum von 0,4 %.
2014 kehren zwar fast alle Euro-Länder bis auf Griechenland auf einen Wachstumspfad zurück, für 2015 rechnen die Forscher mit einer weiteren Erholung. Doch vor allem in Südeuropa ist die Aufwärtsentwicklung zu schwach, um die Situation auf dem Arbeitsmarkt spürbar zu bessern.
Die drei Forschungsinstitute führen das Ausbleiben einer nachhaltigen Erholung auf den sich nur langsam abschwächenden Austeritätskurs zurück, den sie schon im letztjährigen Bericht scharf kritisiert hatten. Diese Politik sei spektakulär gescheitert, „und dieses Scheitern hat einen Preis“. In Simulationsrechnungen vergleichen die Institute die Wirkungen der in den vergangenen Jahren praktizierten massiven Sparpolitik mit einem Kurs, der zwar klare Konsolidierungsziele gesetzt, diese aber schrittweise über einen längeren Zeitraum umgesetzt hätte.
Ergebnis: Bis 2032 hätte in der Währungsunion dieselbe Reduzierung der Staatsschuldenquoten erreicht werden können, allerdings zu beträchtlich niedrigeren Kosten: Die Arbeitslosenquote wäre aktuell um 1,7 Prozentpunkte niedriger (10,5 statt 12,2 %). Im besonders von Arbeitslosigkeit belasteten Spanien beträgt die Differenz sogar 3,7 Prozentpunkte.
Eine Fortsetzung des aktuellen Kurses werde die Probleme noch weiter zuspitzen, warnen die drei Institute. Die Anpassung bei Wettbewerbsfähigkeit und Leistungsbilanzen innerhalb des Euroraums sei einseitig den Defizitländern aufgebürdet worden. Angesichts von fortgesetzt sinkenden Löhnen in Südeuropa bestehe die „reale und aktuelle Gefahr“, eine „nicht zu stoppende Deflation“ auszulösen. Darüber hinaus weisen die Forscher auf drohende politische Konsequenzen hin. Sie zitieren die aktuelle „Eurobarometer“-Befragung, die vor der Europawahl einen drastischen Vertrauensschwund in nationale und europäische Institutionen ausweise.
IMK, OFCE und ECLM empfehlen, die wirtschaftliche Entwicklung wieder zu stimulieren. Dazu sei es insbesondere erforderlich die öffentlichen Investitionen zu stärken, die drastisch zusammengestrichen wurden, um kurzfristige Konsolidierungsziele zu erreichen. So halbierten sich die öffentlichen Nettoinvestitionen im Mittel des Euroraums zwischen 2008 und 2013 – von rund viereinhalb auf etwas über zwei Prozent gemessen am BIP.
Die Wissenschaftler empfehlen weitere Initiativen, um die in vielen EU-Ländern wachsende Schere zwischen arm und reich zu schließen – beispielsweise bessere Bildung und stärker progressive Steuern. Eine stärkere lohnpolitische Koordinierung, nicht zuletzt über eine regelmäßige Anpassung von nationalen Mindestlöhnen, würde den Risiken einer Deflation entgegenwirken und eine symmetrische Reduzierung der Leistungsbilanzungleichgewichte zum Wettbewerbsausgleich innerhalb des Euroraums fördern. In diesem Zusammenhang sei die im Koalitionsvertrag vorgesehene Einführung eines gesetzlichen Mindestlohnes in Deutschland auch europapolitisch von Bedeutung, betonen IMK, OFCE und ECLM.
Weitere Informationen: OFCE, ECLM, IMK: Independent Annual Growth Survey. Second Report. December 2013 (pdf) / Executive Summary in English (pdf)
Quelle: www.boeckler.de