Ausführungen von Prof. Dr. Wassilios E. Fthenakis, Präsident des Didacta Verbandes e.V.
„Unsere Gesellschaft wandelt sich in einem rasanten Tempo und mit ihr die Rahmenbedingungen, unter denen unsere Kinder aufwachsen. Brüche in den familiären Biografien, veränderte Anforderungen der Arbeitswelt an das Individuum, eine zunehmende Digitalisierung und Internationalisierung und – für einen Teil unserer Kinder – eine wachsende Armut prägen den Alltag junger Menschen in Deutschland. Dieser Wandel stellt immer höhere Anforderungen an unser Bildungssystem.
Dafür einzutreten, dass es unseren Kindern die besten Startchancen in ein selbstbestimmtes Leben eröffnet, ist unsere Pflicht. Darüber hinaus werden in Zukunft immer weniger Menschen im arbeitsfähigen Alter den Wohlstand eines Landes sichern müssen. Deutschland kann es sich auch aus diesem Grund nicht leisten, seine Jugendlichen auf dem Bildungsweg zurückzulassen.
Die didacta stellt unseren Beitrag für die Kinder und Jugendlichen in den Vordergrund. Die große Auswahl an bewährten und innovativen Produkten, die mehr als 1 000 Fortbildungsveranstaltungen und die vielen bildungspolitischen Debatten auf der didacta drehen sich im Kern um eine wesentliche Frage: Wie können wir, die im Bildungsbereich tätigen Unternehmen und Organisationen, die Fachkräfte, die Wissenschaft und die Politik dafür sorgen, dass Bildung auf hohem Niveau, für alle gerecht verteilt, gelingt?
Mit der höchsten Priorität müssen wir alles daran setzen, die starke Bildungsungerechtigkeit in Deutschland endlich zu überwinden. Für Kinder aus bildungsfernen Schichten ist der soziale Aufstieg über das Bildungssystem nach wie vor nur schwer zu erreichen, wie der OECD-Bericht „Bildung auf einen Blick“ 2012 einmal mehr bescheinigt. Nur jeder Fünfte junge Erwachsene erreicht demnach ein höheres Bildungsniveau als seine Eltern. Im OECD-Durchschnitt sind es 37 Prozent. Dagegen beenden 22 Prozent ihre Ausbildung auf einem niedrigeren Bildungsniveau als ihre Eltern, im internationalen Vergleich sind es nur 13 Prozent.
Bildungsgerechtigkeit beginnt in den ersten Lebensjahren
Die Bildungsungerechtigkeit bleibt der große Makel des deutschen Bildungssystems. Um sie erfolgreich zu bekämpfen, müssen wir die Bildung von Anfang an – kindgerecht – weiter stärken:
Die Forschung bestätigt, dass die ersten sechs Jahre in der Entwicklung eines Kindes die wichtigsten sind. Also müssen wir hier ansetzen, wenn wir unseren Kindern gerechtere Bildungschancen eröffnen wollen. Investitionen in die frühe Bildung erzielen die höchsten Renditen im gesamten Bildungsverlauf. Das haben zahlreiche Studien wie die des Nobelpreisträgers James Heckman nachgewiesen. Daher ist es nur folgerichtig, dass Deutschland diesen Bereich endlich nicht länger vernachlässigt.
Gemessen an seiner Wirtschaftskraft gibt Deutschland inzwischen mehr für die frühe Bildung aus (0,6 Prozent des Bruttoinlandsprodukts) als die OECD-Länder im Durchschnitt (0,5 Prozent). Dies war lange Zeit nicht der Fall. Heute nehmen in Deutschland 89 Prozent der 3-Jährigen und 96 Prozent der 4-Jährigen an früher Bildung teil. Auch hiermit liegt Deutschland im internationalen Vergleich über dem Mittelwert. (Quelle: OECD-Bericht „Bildung auf einen Blick“ 2012).
Dennoch reichen diese Anstrengungen noch lange nicht aus. Dies zeigt sich besonders deutlich am Rechtsanspruch auf einen Kitaplatz ab dem vollendeten ersten Lebensjahr, der ab August 2013 in Kraft tritt. Mit kurzfristigen Maßnahmen versucht die Politik die Angebotslücke zu schließen – auf Kosten der Qualität der Betreuungsangebote. Die Verantwortlichen bei Bund, Ländern und Kommunen sind nicht bereit, angemessen in die Fachkräfte zu investieren. Es fehlen viele tausend Erzieherinnen und Erzieher, vor allem in den Metropolen, wo der Bedarf an Kita-Plätzen besonders hoch ist. Pläne der Politik, die Ausbildung der Erzieherinnen zu verkürzen, um den Personalmangel zu lindern, sind falsch. Denn das Berufsbild ist höchst anspruchsvoll, die Aufgaben komplex und mit einer „Instant-Ausbildung“ nicht zu schaffen.
Die Öffentlichkeit muss wissen, dass Erzieherinnen und Erzieher die wichtigste Bildungsarbeit leisten, die ein Kind in seiner individuellen Bildungsbiografie benötigt. Sie legen das Fundament, und dafür brauchen wir die am besten qualifizierten Fachkräfte. Deshalb fordern wir von der Politik, ihre Personalverantwortung ernsthaft und nachhaltig wahrzunehmen. Der Didacta Verband und Bildungsklick haben im Rahmen ihrer Kooperation die Anforderungen an das Berufsbild der Erzieherin eindrucksvoll dokumentiert.
Ein Bildungssystem aus einem Guss
Ein gerechteres Bildungssystem setzt eine Neu-Organisation voraus. Das heißt: Bildungsprozesse müssen Institutionen übergreifend und Lernort orientiert gestaltet werden und aufeinander aufbauen. Auf Zuteilungs- und Selektionsmechanismen, die Ungerechtigkeiten verstärken, sollten wir verzichten.
So organisierte Bildungsprozesse müssen sich in einem Institutionen und Länder übergreifenden Bildungsplan manifestieren. Und wir brauchen einen Bildungsplan nicht nur für Kinder von 0 bis 10 Jahren, sondern einen Bildungsplan von 0 bis 18 plus! Dieser muss von Flensburg bis nach Oberammergau gültig sein, um bundesweit allen Kindern die gleichen Startchancen zu garantieren. Der Wirrwarr von derzeit 16 verschiedenen Bildungsplänen, die in ihrer Qualität stark variieren, muss beendet werden. Diese Neu-Organisation des Bildungssystems verlangt zudem nach neuen Wegen der Kooperation zwischen den handelnden Personen. Dies muss bereits in der Ausbildung berücksichtigt werden. So müssen Frühpädagogen und Grundschullehrkräfte, um ein Beispiel zu nennen, künftig gemeinsam auf hohem Niveau qualifiziert werden – mit allen Konsequenzen auch für ihre Vergütung. Sie müssen in die Lage versetzt werden, Kinder von 0 bis mindestens 10 Jahre zu begleiten und zu fördern.
Wir müssen eine Partnerschaft von Familien und Bildungsinstitutionen etablieren. Familie und Bildungsinstitution sind Ko-Konstrukteure derselben kindlichen Bildungsbiografie. Deshalb muss den Familien die Möglichkeit eröffnet werden, an dem Geschehen der Bildungsinstitution teilzuhaben und diese mitzugestalten. Die Familie ist der wichtigste Bildungsort! Deshalb begrüßen wir Überlegungen, die darauf abzielen, den Bildungsort Familie neu zu konzeptualisieren, die alte Elternarbeit zu überwinden und Eltern und Kindern zu helfen, die vielfältigsten Bildungschancen in der Familie zu erkennen und systematisch zur Stärkung der kindlichen Lern- und Bildungsbiografie zu nutzen.
didacta zeigt Wege auf
Es sind diese grundlegenden Veränderungen, die über die Qualität der Bildung und die soziale Gerechtigkeit entscheiden. Sie werden im Programm der didacta eine tragende Rolle spielen, beispielsweise:
* im Ausstellungsbereich „Kindertagesstätten“, denn vor allem die frühe Bildung kann herkunftsbedingte Nachteile ausgleichen,
* bei der Frage, wie inklusive Bildung gelingen kann,
* bei der Präsentation außerschulischer Lernangebote, die Bildungseinrichtungen dabei unterstützen, Lernprozesse in Richtung Lebenswirklichkeit zu öffnen, und
* bei der Diskussion über einen reibungslosen Übergang von der Schule in die Berufs- und Hochschulausbildung, in deren Zuge auch der Wert des dualen Ausbildungssystems für den Einzelnen und den Wirtschaftsstandort Deutschland gewürdigt werden wird.
Die didacta in Köln wird die Notwendigkeit und Dringlichkeit einer solchen Reform des Bildungssystems unterstreichen. Auf Foren und in Fachveranstaltungen werden Bildungsexperten Wege aufzeigen und die fachlichen Grundlagen für eine solche Neuorientierung liefern.“
Die didacta gilt als weltweit größte Bildungsmesse (19.02.-23.02-2013 in Köln). In zahlreichen Podiumsrunden, Vorträgen, Workshops, Foren und Seminaren geht es unter anderem um die Themen Heterogenität und Inklusion, Digitales Lehren und Lernen, Bildungsgerechtigkeit, den Lehrerberuf und um das Schulsystem im Wandel.
Quelle: www.didacta-koeln.de