Südeuropas Krisenländer haben ihre öffentlichen Gesundheitsausgaben deutlich gekürzt. Vor allem in Griechenland leidet die Bevölkerung darunter.
Zufrieden sind Italiener, Portugiesen und Griechen mit der Krankenversorgung in ihren Ländern nie gewesen: Klagen über eine Unterfinanzierung der überwiegend staatlich finanzierten Gesundheitssysteme, über lange Wartelisten, mangelnde Qualität und sogar Korruption ziehen sich seit langem durch einschlägige Umfragen. Nur in Spanien sah es etwas besser aus: Zwar lagen auch dort die öffentlichen Gesundheitsausgaben spürbar unter dem EU-Durchschnitt. Doch die Patientenzufriedenheit war höher, und in den 2000er-Jahren gab die öffentliche Hand mehr Geld – ohne dass die Mittel, wie in Griechenland, überwiegend in rasant ansteigende Arzneimittelausgaben geflossen wären.
Der Reformbedarf in Südeuropas Gesundheitssystemen war also schon vor Ausbruch der Krise im Euroraum unübersehbar, konstatieren Maria Petmesidou, Ana M. Guillén und Emmanuele Pavolini. Was seitdem in den vier Ländern verändert wurde, weise aber oft in die falsche Richtung: „Es sieht so aus, als würden durch die umfangreichen Ausgabenkürzungen und eine ganze Reihe politischer Maßnahmen die Kosten der medizinischen Versorgung von den Schultern des Staates auf die der Bürger abgewälzt“, schreiben die Soziologen aus Griechenland, Spanien und Italien.
Der Rückzug des Staates ist nach Analyse der Wissenschaftler doppelt fatal in einer Situation, in der viele Menschen nach Lohn- oder Rentenkürzungen oder durch Arbeitslosigkeit kaum Spielraum hätten, privat mehr für Arztbesuche oder Medikamente auszugeben. Zahlen der OECD zeigen die wachsende Lücke: Die öffentlichen Gesundheitsausgaben pro Kopf sanken in den Krisenländern seit 2009 um 2,4 bis 11,8 Prozent – pro Jahr. Die durchschnittlichen privaten Ausgaben waren aber preisbereinigt in Spanien und Portugal 2012 kaum höher als 2008. In Italien gingen sie sogar etwas zurück, in Griechenland brachen sie um fast die Hälfte ein.
Ein genauerer Blick auf die Daten zeigt in allen untersuchten Ländern eine klare Verbindung zum Einkommen: Geringverdiener und Angehörige der Mittelschicht hätten ihre Ausgaben am stärksten reduziert, so die Forscher. Vor dem Hintergrund höherer Zuzahlungen und Leistungskürzungen deute das „auf eine wachsende Versorgungskluft“ hin, die in Griechenland darin gipfele, dass knapp 2,5 Millionen Menschen ohne Krankenversicherung leben müssten. „Damit wird nicht nur die Gesundheit sozial schwacher Gruppen aufs Spiel gesetzt, sondern die weiter Bevölkerungsteile.“
Infektionskrankheiten breiten sich aus
Die gesundheitlichen Folgen der Kürzungen sind in den vier Ländern unterschiedlich ausgeprägt – abhängig davon, wie stark sie ausfielen, wann sie wirksam wurden und ob es zusätzlich auch erfolgreiche Reformen zur Effizienzsteigerung im Gesundheitssystem gab. Die geringsten Auswirkungen beobachten die Wissenschaftler in Spanien, wo die tiefsten Einschnitte allerdings auch erst von 2012 bis 2014 erfolgt sind. Gleichwohl sei die Zahl der Haushalte, die sich Arzneimittel nicht mehr leisten können, schon kräftig gewachsen. In Portugal müssten Krebskranke lange auf eine Behandlung warten. Für Italien zeigten EU-Daten, dass sich der allgemeine Gesundheitszustand älterer Menschen deutlich verschlechtert. Zudem erklären vor allem Bürger mit geringerem Einkommen in Umfragen häufiger, sie würden auf notwendige medizinische Untersuchungen verzichten.
Mit Abstand am drastischsten sind die Konsequenzen, die die Autoren für Griechenland beschreiben: Gravierende Lücken bei der Behandlung schwerer Krankheiten, ein spürbarer Anstieg beim Verzicht auf notwendige medizinische Leistungen, deutlich schlechtere Gesundheitsdaten vor allem bei älteren Frauen. Sogar ein leichter Anstieg der Säuglingssterblichkeit und die Ausbreitung von Infektionskrankheiten wie Malaria werden gemeldet. Neben Engpässen bei der Behandlung von Krankheiten wirkten sich auch Kürzungen in der Prävention drastisch aus: Bei Drogenabhängigen habe sich die HIV-Infektionsrate seit 2004 verzehnfacht und Ärzte befürchten einen „Zusammenbruch des Impfsystems“. Angesichts dieser gravierenden Auswirkungen, warnen die Wissenschaftler, könnte sich der Sparkurs längerfristig für den Staat als „finanzpolitischer Bumerang“ entpuppen, „der in späteren Jahren zu einem explosionsartigen Anstieg kostenträchtiger Morbidität führt“.
Quelle: www.boeckler.de