Seit den Hartz-Reformen hat die Armut bei Menschen mit und ohne Job in Deutschland stark zugenommen. Zu diesem Ergebnis kommt eine neue Auswertung aus dem Wirtschafts- und Sozialwissenschaftlichen Institut (WSI) in der Hans-Böckler-Stiftung.
Die Zahl der Erwerbstätigen dürfte in diesem Jahr einen neuen Rekordstand erreichen. Doch die Nachrichten vom Arbeitsmarkt seien nicht uneingeschränkt positiv, betonen die WSI-Forscher: „Der Anteil der Armen in der deutschen Erwerbsbevölkerung ist heute deutlich höher als 2004. Das gilt sowohl für Beschäftigte als auch für Arbeitslose.“
Der Sozialwissenschaftler Eric Seils von WSI hat die neuesten verfügbaren Zahlen aus der EU-weiten Erhebung von Armutsdaten ausgewertet. 2010 waren laut EU-Statistikbehörde Eurostat in Deutschland 7,7 Prozent der Erwerbstätigen von Armut bedroht. Das heißt, ihnen standen weniger als 60 Prozent des mittleren bedarfsgewichteten Nettoeinkommens zur Verfügung – das ist die gängige wissenschaftliche Schwelle der „Armutsgefährdung“. In Deutschland liegt sie für einen Alleinstehenden bei 952 Euro im Monat.
Im Durchschnitt der EU lag der Anteil der armutsgefährdeten Erwerbstätigen laut Eurostat 2010 bei 8,9 Prozent, das ist der gleiche Wert wie 2004. Im Mittel des Euroraums nahm die Quote seit 2004 um 1,4 Prozentpunkte zu. Der überdurchschnittliche Anstieg führte dazu, dass Deutschland bei der Arbeitsarmut mittlerweile im europäischen Mittelfeld liegt. Die niedrigsten Quoten wiesen 2010 Finnland, Belgien und die Tschechische Republik mit rund vier Prozent auf. Die höchsten Anteile verzeichneten Rumänien (18,7 Prozent), Spanien (12,2 %) und Griechenland (11,9%).
Die Quote der von Armut bedrohten Arbeitslosen sank in Deutschland von 2009 auf 2010 um gut zwei Prozentpunkte auf 67,7 Prozent. Damit blieb sie aber weiterhin auf dem mit Abstand höchsten Niveau in der EU, wo der Durchschnitt bei rund 46 Prozent liegt. Zudem ist der Anteil der armutsgefährdeten Arbeitslosen in der Bundesrepublik immer noch um 26 Prozentpunkte höher als 2004.
Dies habe mit der vierten Hartz-Reform zu tun: Langzeitarbeitslose seien seit der Abschaffung der Arbeitslosenhilfe schlecht gegen Armut abgesichert. Nach einem Jahr – einer im Vergleich zu etlichen Nachbarländern relativ kurzen Frist – erhalten Arbeitslose kein einkommensabhängiges Arbeitslosengeld I (ALG I) mehr, sondern nur noch das niedrigere ALG II als Grundsicherung. Und das reiche oft nicht mehr, um das Haushaltseinkommen über der Armutsgrenze zu halten. Da die Langzeitarbeitslosen vom Beschäftigungsaufbau der vergangenen Jahre am wenigsten profitiert haben, fielen sie statistisch zunehmend ins Gewicht.
Die Hälfte aller deutschen Arbeitslosen hat laut Eric Seils 2010 sogar weniger als 793 Euro im Monat zur Verfügung gehabt. Das entspricht 50 Prozent des mittleren nationalen Einkommens und markiert die Schwelle, unter der Menschen von der Industrieländerorganisation OECD als „arm“ bezeichnet werden. Auch dieser Wert ist der höchste in der EU.
Gut 19 Prozent der Menschen ohne Job sind in der Bundesrepublik sogar von „strenger Armut“ (weniger als 40 Prozent des mittleren Einkommens) betroffen. Bei diesem statistischen Merkmal rangiert die Bundesrepublik im Mittelfeld der EU-Staaten.
Überdurchschnittlich hoch ist die Quote der Arbeitslosen in „strenger Armut“ in den baltischen Staaten, Rumänien und Bulgarien, aber auch in Italien, Griechenland und Spanien. Besonders niedrig ist die Quote von Arbeitslosen in „strenger Armut“ in Dänemark und den Niederlanden, auch Belgien und Frankreich weisen relativ niedrige Werte aus.
Quelle: www.beockler.de