Die Zeit drängt. Angesichts der akuten Not in Griechenland, des drohenden Zusammenbruchs des Bankensektors und mit Blick auf den Antrag der griechischen Regierung auf ein neues Hilfsprogramm, sind rasche und tragfähige wirtschaftspolitische Entscheidungen gefordert. Man ist also gezwungen, sich auf das Wesentliche zu konzentrieren.
Ein entscheidender Gesichtspunkt ist die richtige zeitliche Abfolge. Hier ergibt sich eine zwingende Sequenz. Mit der Abgabe ihres Antrags für ein neues Hilfsprogramm hat die griechische Regierung zu verstehen gegeben, dass sie nicht nur im Euroraum zu verbleiben, sondern sich auch an dessen Regularien zu halten gedenkt. Das legimitiert die EZB zu einem zwingend erforderlichen ersten Rettungsschritt: Die Notkredite an das griechische Bankensystem möglicherweise zu erhöhen, in jedem Fall aber zu verlängern. Ohne diesen Schritt ist es nur eine Frage von Tagen, bis das Zahlungssystem in Griechenland zusammenbricht und alle weiteren Maßnahmen außer humanitärer Nothilfe am Ende vergeblich sind.
Die weitere Schrittfolge ergibt sich aus der Erkenntnis, dass ein nachhaltiger Schuldenabbau nur mit einer wachsenden Wirtschaft möglich ist. Nur dann stehen dauerhaft die finanziellen Ressourcen zur Verfügung, um Schulden zurückzuzahlen. Ohne Wachstum ist früher oder später ein harter Schuldenschnitt unumgänglich. Wollen die Gläubiger also nicht auf Kreditrückzahlung verzichten, müssen die nächsten Schritte dazu dienen, Wachstumsimpulse zu erzeugen.
1. Deshalb sollte Griechenland rasch Zugang zu den 35 Milliarden Euro Investitionsmitteln gewährt werden, die ihm ohnehin aus den Strukturfonds der EU zustehen und die angeblich während der vergangenen Verhandlungen bereits angeboten wurden. Griechenland konnte sie allerdings während der vergangenen Jahre nicht abrufen, da das mit einer Kofinanzierung verbunden gewesen wäre, wozu dem griechischen Staat schlicht die Mittel fehlten. Daher sollte man Griechenland für ein Jahr begrenzt einen Zugang ohne Kofinanzierung ermöglichen, so dass die Regierung sofort ein Investitionsprogramm auf den Weg bringen kann und wegen des zeitlichen Drucks auch muss. Diese EU-Mittel stünden Griechenland im Übrigen auch unabhängig von einer Mitgliedschaft im Euroraum zur Verfügung.
2. Wird der Wachstumsimpuls rasch gesetzt, ist ein Schuldenschnitt nicht mehr zwingend. Allerdings bedarf es einer Schuldenregelung, um einen glaubwürdigen Pfad des Schuldenabbaus zu skizzieren. Dies sollte Teil der Bedingungen sein, zu denen der Rettungsschirm Kredite an Griechenland gewährt. Als erstes muss sich die griechische Regierung zu einem Haushaltsgebaren verpflichten, bei dem sie ohne Berücksichtigung der Zinszahlungen Überschüsse erzielt, also der Haushalt einen Primärüberschuss ausweist. Damit verhindert die Regierung, dass künftige Haushalte mit immer neuen finanziellen Lasten beschwert werden. Dies reicht aber nicht aus. Als zweites muss ein Weg gefunden werden, die Altlasten, die Griechenland zu erdrücken drohen, sukzessive und ohne Schuldenschnitt zu verringern. Das kann unter realistischen Bedingungen erreicht werden, indem sich Griechenland nach einem Jahr Übergangsfrist für die nachfolgenden vier Jahre auf einen Primärüberschuss in Höhe von 2 Prozent vom Bruttoinlandsprodukt (BIP) verpflichtet.
3. Eine derartig bindende Zusage ist konjunkturellen Risiken unterworfen, da die Konjunktur natürlich immer schlechter als prognostiziert laufen kann. Kalkuliert eine Schuldenregelung diesen Fall nicht ein, gibt es nur eine Möglichkeit: Es muss in einer wirtschaftlichen Flaute gespart werden, was die Wirtschaft zusätzlich belastet. Daher sollte das konjunkturelle Risiko auf den Modus der Schuldenrückzahlung übertragen werden Ein gestreckter und an das Wachstum gekoppelter Rückzahlungsmodus wäre hierfür geeignet. Dies wäre auch eine glaubwürdige Strategie, da sie ja die Erträge durch Wachstum voraussetzt, und dann sogar eine verstärkte Rückzahlung erzwingen könnte, wenn es besonders gut läuft. Mit einem solchen Abkommen wäre Griechenland auf einem glaubwürdigen Pfad der Schuldenreduktion, was zudem die Risikoaufschläge für private Kredite an die griechische Wirtschaft reduzieren dürfte und damit private Investitionen ermutigt.
4. Künftige Verhandlungen würden erleichtert, wenn die Schuldenregelung auch dazu führte, dass die griechischen Schulden beim Rettungsfonds konzentriert würden. Dann wäre der IWF von seinen Aufgaben im Fall Griechenlands entbunden, derer er schon aus Satzungsgründen überdrüssig ist. Zugleich wäre auch die EZB entlastet und könnte Griechenland wieder unter den Schirm potenzieller Aufkäufe von Staatsanleihen nehmen, falls es Turbulenzen am Finanzmarkt gäbe. Dies würde die Sicherheit von Finanzinvestoren beim Kauf griechischer Wertpapiere erhöhen, was Griechenland bald wieder Zugang zum privaten Kapitalmarkt verschaffen könnte.
5. Mit diesen Elementen ist eine kurzfristige Stabilisierung der griechischen Wirtschaft möglich, die langfristigen Strukturprobleme, die stets neue Krisen hervorrufen könnten, blieben jedoch bestehen. Diese zu überwinden, erfordert jedoch Zeit und wären daher erst als letzter Schritt zu vollziehen. Dabei herrscht auf diesem Feld objektiv das größte gemeinsame Interesse zwischen Gläubigern und Schuldner, da keine Seite Interesse an weiteren Krisen haben dürfte. Allerdings dürfte diese Thematik innerhalb Griechenlands massive Interessenkonflikte auslösen, da es um den Abbau zahlreicher gesellschaftlicher Privilegien geht. Deshalb muss auch im Hinblick auf die langfristigen Reformen die Schrittfolge wohl überdacht werden.
6. Ein erster Schritt wäre die Neugründung der Steuerbehörde und ihre Ausstattung mit zuverlässigem Personal. Zeitgleich sollte das Steuerrecht so geändert werden, dass die aufschiebende Wirkung von Einsprüchen deutlich eingedämmt wird. Erst danach sind Überlegungen im Hinblick auf veränderte Steuersätze überhaupt sinnvoll. Dies alles sollte zu zusätzlichen Staatseinnahmen führen.
7. Unmittelbar danach sollte die Einführung einer Grundsicherung inklusive einer allgemeinen Krankenversicherung in Angriff genommen werden. Mit der Einführung einer Grundsicherung kann der Zugang zur Frühverrentung, die derzeit diese Funktion übernimmt, drastisch erschwert werden. Die Kombination beider Maßnahmen könnte kostenneutral gestaltet werden.
8. Schließlich bedarf es erneuter Reformen des Arbeitsmarktes, die eine faire Lohnbildung ermöglichen. Griechenland hat nach den drastischen Einschnitten während der vergangenen Jahre kein gesamtwirtschaftliches Lohnproblem mehr. Daher sollte nunmehr danach gestrebt werden, wieder europäische Standards für Lohnzuwächse einzuführen, etwa eine Orientierung an der Produktivitätsentwicklung. Dazu gehört aber, dass sich Arbeitgeber und Beschäftigte auf Augenhöhe begegnen. Nur so bleiben Angebots- und Nachfragebedingungen auf Dauer in der Balance.
Mit dieser Abfolge von Maßnahmen lässt sich Griechenland wirtschaftlich sukzessive stabilisieren. Schritt für Schritt.
Von Gesine Schwan und Gustav A. Horn
Quelle: www.boeckler.de