Europas Jobkrise: Der Stress steigt auch für die Beschäftigten, die bleiben

Die Wirtschaftskrise hat nicht nur die Arbeitslosigkeit in der EU massiv erhöht. Auch die verbliebenen Beschäftigten in restrukturierten Unternehmen leiden unter mehr Stress und gesundheitlichen Problemen.

Der europäische Arbeitsmarkt befindet sich in schlechter Verfassung: Laut Eurofound, der Europäischen Stiftung zur Verbesserung der Lebens- und Arbeitsbedingungen, ist die Zahl der Erwerbstätigen in der EU seit 2008 um fünf Millionen zurückgegangen. Welche Arbeitnehmer von Entlassungen besonders betroffen waren und wie sich Restrukturierungsmaßnahmen auf das Wohlergehen der Beschäftigten auswirken, haben Wissenschaftler der Stiftung untersucht. Dafür haben sie umfangreiche europäische Datensätze ausgewertet – den European Restructuring Monitor, den European Labour Force Survey, das Eurobarometer und den European Working Conditions Survey. Das Ergebnis: In der Krise wurden Angehörige ohnehin benachteiligter Gruppen wie Migranten oder Geringqualifizierte überdurchschnittlich oft entlassen. Und Beschäftigte, die eine Restrukturierung ohne Jobverlust überstanden haben, klagen vermehrt über seelische und körperliche Beschwerden.

Der Eurofound-Studie zufolge sind Reorganisationen EU-weit ein verbreitetes Phänomen. Über ein Drittel aller Befragten gab 2010 an, dass ihr Betrieb in den vergangenen drei Jahren restrukturiert worden sei. Zahlreiche Arbeitnehmer haben dabei 2008 und 2009 ihren Job verloren – zumindest zwischenzeitlich: Die Quote der krisenbedingt Entlassenen reicht von unter 7 Prozent in Luxemburg und den Niederlanden bis hin zu über 20 Prozent in Irland, Lettland, Litauen, Portugal, Spanien und Ungarn. Überproportional betroffen waren Geringqualifizierte, Angehörige ethnischer, religiöser oder sexueller Minderheiten, Arbeitnehmer mit Migrationshintergrund, gesundheitlich Beeinträchtigte und Beschäftigte mit geringem beruflichem Status. Zugleich war die Wahrscheinlichkeit, eine neue Stelle zu finden, für diese Gruppen besonders niedrig. Angesichts dieser Befunde empfehlen die Eurofound-Experten, das „external flexicurity model“ zu überdenken – also eine Arbeitsmarktpolitik, die auf ebenso leichte Entlassungen wie Einstellungen setzt. Es sei notwendig, benachteiligte Gruppen stärker zu unterstützen.

Negativ wirken sich Restrukturierungen nicht nur auf die entlassenen, sondern auch auf die verbliebenen Beschäftigten aus: 42 Prozent von ihnen klagen über eine hohe Arbeitsintensität, verglichen mit 34 Prozent in nicht restrukturierten Betrieben. Dort arbeitet weniger als ein Viertel, in reorganisierten Betrieben mehr als ein Drittel der Arbeitnehmer in der Freizeit, um die beruflichen Anforderungen erfüllen zu können. Auch unregelmäßige Arbeitszeiten und Schichtarbeit sind häufiger in Unternehmen, die eine Reorganisation durchlaufen haben. Die Arbeitsautonomie der Beschäftigten nimmt zwar zu, zugleich allerdings auch die Kontrolle ihrer Arbeitsleistung durch Zielvorgaben und institutionalisierte Bewertungsverfahren. Das schlägt sich unter anderem in der Arbeitszufriedenheit nieder: Die Beschäftigten von restrukturierten Betrieben sind weniger zufrieden mit ihren Arbeitsbedingungen und ihrer Work-Life-Balance. Die Wahrscheinlichkeit, dass sie sich bei ihrem Arbeitgeber „zu Hause“ fühlen, ist geringer, ebenso die subjektive Arbeitsplatzsicherheit. Zudem berichten sie häufiger von psychosozialen Belastungen wie Schikanen, Drohungen oder Beschimpfungen am Arbeitsplatz.

Das problematische Arbeitsumfeld, das mit Reorganisationen verbunden ist, beeinträchtigt die Gesundheit der Betroffenen: Der Studie zufolge schätzen Beschäftigte von restrukturierten Unternehmen ihre gesundheitliche Verfassung in nahezu jeder Hinsicht als schlechter ein als andere Arbeitnehmer. Besonders groß ist die Differenz bei psychosomatischen Störungen wie Depressionen, Stress oder Schlafproblemen. Beschäftigte in reorganisierten Betrieben weisen dementsprechend 20 Prozent mehr krankheitsbedingte Fehltage auf. Zugleich kommt es häufiger vor, dass sie trotz Krankheit arbeiten.

Quelle: www.boeckler.de

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