Der US-amerikanische Ökonomie-Nobelpreisträger Paul Krugman warnt zum Auftakt des diesjährigen Europäischen Gesprächs der Hans-Böckler-Stiftung in Brüssel vor wachsender Ungleichheit und einem Rechtsruck in Europa. Zugleich forderte er ein Umsteuern in der Griechenland-Politik der EU.
Die Schuldenlast in Athen sei zu hoch, sagte Krugman in seiner Keynote zum Auftakt des diesjährigen Europäischen Gesprächs zum Thema „Wachstum in Europa“ in Brüssel. Die Eurogruppe müsse sich von der „Fiktion“ verabschieden, dass die Schulden in absehbarer Zeit zurückgezahlt werden könnten, und sollte sich stattdessen auf Wirtschaftswachstum konzentrieren.Damit greift Krugman eine zentrale Forderung der griechischen Links-Regierung auf. Allerdings sind die Gläubiger in der Eurogruppe bisher nicht bereit, darauf einzugehen. Vor der Auszahlung neuer Hilfskredite fordern sie ein umfassendes Reformprogramm. Selbst die lange zurückhaltende EU-Kommission wird zunehmend ungeduldig. Bisher hatten Kommissionspräsident Jean-Claude Juncker und sein Team die neue Regierung in Athen unterstützt.
Krugman wollte sich auf Nachfragen nicht zur Arbeit der neuen EU-Kommission äußern. Für eine Bewertung sei es noch zu früh. Umso schärfer ging er mit der früheren Barroso-Kommission und mit dem deutschen Finanzminister Wolfgang Schäuble (CDU) ins Gericht. Die unter Junckers Amtsvorgänger José Manuel Barroso eingeleitete Sparpolitik habe die EU in eine Krise geführt, die mit der Großen Depression der 30er Jahre in den USA vergleichbar sei.
Das von Schäuble vertretene Konzept der „wachstumsfreundlichen Konsolidierung“ mache keinen Sinn, so Krugman weiter. Dies zeige das schwache Wachstum in der Eurozone. Auch die wiederholte Forderung nach Strukturreformen sei verfehlt. Griechenland habe durch die „interne Abwertung“, also die Senkung von Kosten und Preisen in den letzten Jahren an Wettbewerbsfähigkeit gewonnen. Deshalb müsse nun das Wachstum im Vordergrund stehen. Schäuble warf er vor, in den fünf Jahren seit Beginn der Schuldenkrise „nichts dazugelernt“ zu haben.
Zurückhaltender äußerte sich Krugman zum Hauptthema der Brüsseler Tagung, der wachsenden Ungleichheit. Zwar klaffe auch in Europa die Kluft zwischen Arm und Reich immer weiter auseinander. Sie sei aber noch nicht so groß wie in den USA. Zudem lasse sich empirisch kein Zusammenhang zwischen wachsender Ungleichheit und schwachem Wachstum nachweisen.
Umgekehrt gebe es auch keine Belege dafür, dass eine auf den Abbau der Ungleichheit zielende Politik des Wachstums schwäche.
Die zunehmende Konzentration des Wohlstands in den Händen weniger führe aber zu einer Veränderung der Politik, so der Ökonomie-Professor aus Princeton. In den USA äußere sich dies in einer wachsenden Polarisierung der Debatte zwischen Demokraten und Republikanern, in Europa hingegen in einem allgemeinen Rechtsruck. „Das gesamte politische System hat sich nach rechts verschoben“, sagte Krugman, der sich selbst als „Sozialdemokraten“ bezeichnete. Dies führe dazu, dass es kaum noch Widerstand gegen die sozial ungerechte Austeritätspolitik gebe. „Die europäischen Sozialdemokraten scheinen nicht mehr Willens zu sein, die Austeritätspolitik zu attackieren“, bedauerte Krugman. Es gehe nicht nur darum, die Sparpolitik zu beenden, sondern auch um die Stärkung der Binnennachfrage in Europa. Ein mögliches Mittel seien Lohnerhöhungen, betonte der Nobelpreisträger. Im Publikum – darunter viele SPD-Mitglieder und Gewerkschafter – erntete er dafür viel Beifall.
Allerdings gab es auch Kritik an Krugmans teilweise vagen Ausführungen.
Vertreter der EU-Kommission betonten, dass Europa mit den Bankenunion und einem für den Sommer geplanten 315 Milliarden Euro schweren Investitionsprogramm einen Politikwechsel einleite. Demgegenüber betonte Maria Jepsen, Forschungsdirektorin beim Europäischen Gewerkschaftsinstitut, dass die Wende noch nicht geschafft sei. „Man will uns glauben machen, dass Europa die Krise beendet – doch das stimmt nicht.“
Die Hans-Böckler-Stiftung lädt einmal im Jahr – in Kooperation mit dem Europäischen Gewerkschaftsinstitut – zum „Europäischen Gespräch“ nach Brüssel. Neben Krugman nimmt in diesem Jahr auch der ehemalige EU-Sozialkommissar Laszlo Andor teil.
Zum Anschluss der zweitägigen Konferenz diskutiert er am Freitagnachmittag (17.04.2015) mit dem DGB-Vorsitzenden Reiner Hoffmann, ob eine Europäische Arbeitslosenversicherung – wie er sie in seiner Amtszeit vorgeschlagen hat – ein Weg zu mehr Gerechtigkeit und Stabilität in Europa sein kann.
Von Eric Bonse, Journalist in Brüssel
Quelle: www.dgb.de