Altkanzler Schmidt sieht EU in tiefer Krise

Erst hat EU-Kommissar Oettinger mit Äußerungen zum Zustand der Europäischen Union für Wirbel gesorgt. Jetzt bekommt der CDU-Politiker unverhofft Rückendeckung – von Altkanzler Schmidt. Dessen Urteil über die Union fällt ebenfalls nicht schmeichelhaft aus.

Helmut Schmidt ist Europa ein großes Anliegen. Entsprechend kritisch begleitet er das Krisenmanagement der Euro-Retter. Das in der EU inzwischen nichts mehr rund läuft, ist dem Altkanzler schon länger ein Dorn im Auge. Zuletzt widmete er sich der Großbaustelle im Sommer vergangenen Jahres, als ihm die Atlantik-Brücke den Eric-M.-Warburg-Preis für sein transatlantisches Engagement verlieh. Schon damals ärgerte er sich darüber, dass die Rettungspolitiker zwar etliche Banken gerettet hätten, aber nicht in der Lage waren, in vielen Staaten Europas „eine tiefe ökonomische Rezession und große Angst und sogar Verzweiflung und sogar Rebellion auslösende Arbeitslosigkeit“ zu verhindern.

Schmidt ging in seiner Bewertung sogar noch weiter und zog ein regelrecht fatalistisches Fazit: „Nach einem halben Jahrhundert seit Beginn der europäischen Integration finden wir uns in einer tiefgreifenden Krise fast aller europäischen Institutionen“, sagte der SPD-Politiker damals. Niederschmetternder kann eine Euro-Analyse kaum ausfallen. Und was hat sich seitdem verändert? Wenig. Nach Schmidts Einschätzung eigentlich gar nichts. Bei einem Gespräch mit dem früheren französischen Präsidenten Valéry Giscard d’Estaing am Mittwochabend in Paris bekräftigte der 94-Jährige seine Kritik und bescheinigte der Europäischen Union abermals eine institutionelle Krise. Es gebe keine Eurokrise, sondern eine Krise der „europäischen Institutionen“, sagte Schmidt.

Giscard d’Estaing pflichtete dem früheren Bundeskanzler bei. Die einzige Institution, die funktioniere, sei die Europäische Zentralbank (EZB). Der Franzose warnte zudem vor einem „Desaster“ bei den Europawahlen im kommenden Jahr, sollte es bis dahin keine Verbesserung geben. Der ehemalige französische Präsident schlug die Einrichtung einer Gruppe unter deutsch-französischem Vorsitz vor, die ein monatliches Treffen der Staats- und Regierungschefs der Eurozone organisiert.

Das Treffen der beiden Politiker, die als Gründungsväter einer europäischen Gemeinschaftswährung gelten, fand in der deutschen Botschaft in Paris statt. Schmidt, der im Rollstuhl saß und wie gewohnt eine Zigarette nach der anderen rauchte, kündigte an, künftig keine Reisen mehr zu unternehmen. Dies sei wohl sein letzter Besuch in Frankreich. Danach werde er sich nicht mehr bewegen, fügte er hinzu. Schmidt war von 1974 bis 1982 Kanzler. Giscard d’Estaing war fast zur selben Zeit (1974 bis 1981) französischer Staatspräsident.

Quelle: www.handelsblatt.de

Dieser Eintrag wurde veröffentlicht in News von Vivi. Setze ein Lesezeichen zum Permalink.