NSU-Prozess in München eröffnet

Die Mordserie der rechtsextremen Terrorzelle NSU hat Deutschland erschüttert. In München begann der Prozess, abgesichert durch ein starkes Polizeiaufgebot. Hauptangeklagte ist Beate Zschäpe.

Nach langen Querelen und mit knapp dreiwöchiger Verspätung hat der Prozess um die Verbrechensserie der rechtsextremen Zelle „Nationalsozialistischer Untergrund“ (NSU) begonnen. In einem der größten Strafverfahren der vergangenen Jahrzehnte müssen sich die mutmaßliche Neonazi-Terroristin Beate Zschäpe sowie vier mutmaßliche NSU-Helfer vor dem Staatsschutzsenat des Oberlandesgerichts München (OLG) verantworten.

Prozessbeobachter rechneten mit einer Serie von Anträgen der Verteidiger. Es galt daher als unsicher, ob der vorsitzende Richter Manfred Götzl noch am Montag die Anklageschrift verlesen wird. Nach unbestätigten Berichten gab es gleich zu Beginn einen Befangenheitsantrag gegen Götzl. Rund 80 Angehörige und Opfer treten als Nebenkläger auf, sie werden von rund 60 Anwälten vertreten.

Die Hauptangeklagte Beate Zschäpe wurde ohne Handschellen in den Saal A101 geführt und unterhielt sich bis zum Prozessbeginn mit ihren Anwälten. Zwei der Mitangeklagten schützten sich mit Aktendeckeln und Kapuzen vor dem Blitzlichtgewitter der Fotografen. Schon vor Eröffnung des Verfahrens herrschten vor dem Strafjustizzentrum in München scharfe Sicherheitsvorkehrungen. Etwa 500 Polizisten sollen einen störungsfreien Prozessauftakt garantieren.

Demonstrationen

Mehrere Gruppen protestierten vor dem Gerichtsgebäude gegen rechte Gewalt und gegen Rassismus, unter ihnen auch türkische Vereine. „Chance für Gerechtigkeit“ und „Wie konnten sie so viele töten?“, war auf den Transparenten zu lesen. Mehrere türkische Abgeordnete sind als Beobachter zu dem Prozess angereist.

Zschäpe war in einem gepanzerten Wagen von der Justizvollzugsanstalt Stadelheim zum Gericht gebracht worden. Der 38-Jährigen wird Mittäterschaft an sämtlichen Taten der Zwickauer Terrorgruppe vorgeworfen – darunter neun Morde an Geschäftsleuten türkischer und griechischer Herkunft, der Mord an einer Polizistin, zwei Sprengstoffanschläge und zahlreiche Banküberfälle. Mehr als 13 Jahre lang hatte Zschäpe mit ihren mutmaßlichen Komplizen Uwe Mundlos und Uwe Böhnhardt unter falschen Identitäten gelebt. Mundlos und Böhnhardt hatten sich im November 2011 selbst getötet, um einer Festnahme zu entgehen.

„Enorme Erwartungen“

Der Prozess dürfte einer der größten der deutschen Rechtsgeschichte werden. Vor Beginn der Verhandlung forderten die Opfer und dessen Angehörige „maximale Aufklärung“ durch die deutsche Justiz. Anwälte der Nebenkläger äußerten zudem die Hoffnung, dass am Ende des Verfahrens nicht nur eine Verurteilung der Angeklagten stehe, „sondern auch eine klare Benennung von Mitverantwortlichen“. Der Koordinationsrat der Muslime bezeichnete die Erwartungen an den Prozessausgang als „enorm“. Vor allem eine mögliche Verstrickung der Behörden solle geklärt werden.

In einer von sieben Opfer-Anwälten unterzeichneten Erklärung zogen die Nebenklage-Vertreter die Einschätzung in Zweifel, die Terrorgruppe habe aus nur drei besonders gefährlichen Rechtsextremen bestanden. Zudem liege es nahe, „dass der NSU auch durch V-Leute, verdeckte Ermittler und andere Mitarbeiter der Nachrichtendienste – direkt oder indirekt – unterstützt worden ist“.

Das Verfahren könnte neue Impulse bringen – sollte die Hauptangeklagte Zschäpe ihr Schweigen brechen. Würde sie entgegen der bisherigen Erwartung aussagen, könnte das womöglich ganz neue Erkenntnisse liefern – und damit neue Arbeit für die Aufklärer.

Probleme und Pannen

Die Mordserie der Rechtsterroristen blieb rund zehn Jahre von den Behörden unaufgeklärt. Zunächst wurden die Täter vor allem in den Reihen der Familien selbst gesucht.

Erst nach dem Auffliegen der Terrorzelle Ende 2011 begann in Deutschland eine mühsame politische Aufarbeitung der Geschehnisse.

Nach und nach kamen Details zu den Verbrechen ans Licht – und den haarsträubenden Pannen bei der Aufklärung. Akten wurden vernichtet beziehungsweise zurückgehalten, wichtige Informationen nur scheibchenweise publik gemacht und es wurde versucht, Fehler zu relativieren. Untersuchungsausschüsse gruben sich durch Aktenberge, Verfassungsschutz-Chefs räumten ihre Posten, erste Reformen wurden angestoßen, ein Mammutprozess vorbereitet.

Bereits im Vorfeld des Prozesses hatte das Münchener Gericht für Wirbel durch die umstrittene Vergabe der 50 Presseplätze gesorgt. Nachdem das Bundesverfassungsgericht wegen Nicht-Berücksichtigung türkischer Medien Änderungen verordnet hatte, vergab das OLG die Presseplätze in einem Losverfahren neu.

Allerdings stieß auch das auf Kritik, da dabei große Medien wie die „Frankfurter Allgemeine Zeitung“ oder „Die Zeit“ leer ausgingen.

Nach der dadurch bedingten Verschiebung des Prozessbeginns sind zunächst 80 Verhandlungstage angesetzt, und zwar bis Januar 2014. Das Gericht rechnet aber selbst schon damit, dass dies bei weitem nicht ausreichen wird…

GD/sc (dpa, afp, rtr, epd)

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