Kurzestudie: Ein Jahr Verhaltenskodex im EU-Parlament: 21 der 99 deutschen Europaabgeordneten machen unkorrekte Angaben – Nachbesserungen nötig. Die Studie untersucht die Auswirkungen des neuen Verhaltenskodex für Mitglieder des Europäischen Parlaments ein Jahr nach seinem Inkrafttreten (01.01.2012). Dazu haben wir uns die Interessenerklärungen aller deutschen Europaabgeordneten angeschaut.
Davon gibt ein knappes Drittel Nebentätigkeiten an, bei denen sie einen Betrag ab 500 Euro monatlich oder 5.000 Euro jährlich verdienen. Dabei zeigt sich, dass der Kodex trotz wichtiger Verbesserungen gegenüber früher weiterhin zahlreiche Schwächen hat.
Unsere wichtigsten Kritikpunkte und Forderungen sind:
– Bessere Zugänglichkeit: Die Erklärungen über die finanziellen Interessen sind für die Öffentlichkeit nur schwer zugänglich. Jede Erklärung muss einzeln als pdf-Datei auf der Seite des jeweiligen Mitglieds geöffnet werden, sie sind in der jeweiligen Landessprache verfasst, viele davon handschriftlich ausgefüllt. Manche bleiben schon wegen mangelnder Lesbarkeit völlig unzugänglich.
– Mehr Kontrollen: Die Angaben, die die Abgeordneten in ihrer Erklärung über die finanziellen Interessen machen, werden von der Verwaltung nicht kontrolliert, sondern direkt hochgeladen – selbst völlig offensichtliche Fehlangaben werden auf diese Weise nicht behoben. So kommt es, dass sich schon bei oberflächlicher Überprüfung ein Fünftel der Erklärungen als lückenhaft oder unkorrekt erweist, etwa 10 Prozent der Abgeordnete geben leere Formulare ab.
– Genauere Stufen: Die Stufen für die Nebeneinkünfte dürfen nicht bei 10.000 Euro monatlich oder 120.000 Euro enden. Es ist durchaus wichtig zu erfahren, ob ein Mitglied des europäischen Parlaments 10.000, 50.000 oder 100.000 Euro nebenher verdient.
– Ausführungsbestimmungen verabschieden und Reisekosten regeln: Dass das Parlament sich nach einem Jahr immer noch nicht auf Ausführungsbestimmungen zu seinem Verhaltenskodex einigen konnte, ist ein Skandal. Dadurch fehlt auch nach wie vor eine Regelung zur Übernahme von Reise- und Aufenthaltskosten durch Dritte. Angebote wie „Informationsreisen“ oder Einladungen zu Vorträgen werden aber von Unternehmen und Lobbyorganisationen regelmäßig als Lobbyinstrument genutzt.
– Transparenz für interfraktionelle Gruppen: Die so genannten „Cross-Party-Groups“ sind oft Lobbyplattformen, in denen Unternehmen und Lobbyagenturen stattliche Mitgliedsbeiträge für die Nähe zu den Abgeordneten bezahlen. Nur ein Bruchteil von ihnen ist verpflichtet, sich zu registrieren und Mitglieder und Gelder offenzulegen. Hier müssen für alle die gleichen Transparenzregeln gelten.
Die Nebentätigkeiten der deutschen Europaabgeordneten
Im Europäischen Parlament sitzen derzeit 99 deutsche Abgeordnete. 42 sind Mitglied der CDU/ CSU, 23 der SPD, 12 der FDP, 14 bei den Grünen und 8 bei der Linken. Eine Auswertung von LobbyControl zeigt, dass 2012 30 der 99 deutschen Abgeordneten – und damit knapp ein Drittel – bezahlten Nebentätigkeiten ab 500 Euro monatlich nachgingen.
Gezählt haben wir alle zu veröffentlichenden Arten von Nebentätigkeiten/Nebeneinkünften mit regelmäßigem Einkommen ab € 500 monatlich, bei denen wir einen Interessenkonflikt für theoretisch möglich halten: Anwälte, Beiräte, Geschäftsführer, Aufsichtsräte, Vorstände, Berater, Präsidenten, Vertrauensmänner-und frauen, Rundfunk- und Fernsehräte, Gesellschafter, relevante Beteiligungen an Unternehmen.
Zählt man gelegentliche Tätigkeiten ab 5.000 Euro jährlich dazu, handelt es sich um 33 Abgeordnete (zwei der 5 Abgeordneten mit gelegentlichen Tätigkeiten gehen auch regelmäßigen Tätigkeiten nach).
Zunächst ist festzustellen, dass die Bereitschaft zur Transparenz auf den ersten Blick insgesamt hoch erscheint. Größtenteils machen die Abgeordneten sehr detaillierte und konkrete Angaben. Viele Abgeordnete machen Angaben über die Verpflichtungen hinaus, etwa zu Verdiensten unterhalb 500 Euro monatlich. Dies ist erfreulich. Ob Nebeneinkünfte verschwiegen werden, hat LobbyControl mit dieser Kurzstudie nicht untersucht. Allerdings sind allein im letzten halben Jahr drei Fälle von Abgeordneten aus verschiedenen Mitgliedsländern bekannt geworden, die Nebentätigkeiten und -einkünfte verschwiegen haben – das konterkariert den ersten guten Eindruck.
Verteilung nach Fraktionen:
Ins Auge fällt sofort: Bei den Abgeordneten der CDU/CSU im Europäischen Parlament ist der Anteil der Abgeordneten mit bezahlten Nebentätigkeiten besonders hoch. 22 der 42 Abgeordneten bzw. 52 % führen eine der weiter oben genannten bezahlten Nebentätigkeiten ab 500 Euro monatlich aus. Nicht wenige haben mehrere Nebeneinkünfte: Gemeinsam kommen sie auf 36 bezahlte Nebentätigkeiten.
Von den 23 deutschen sozialdemokratischen Abgeordneten sind 4 (17%) mit einem Einkommen von mindestens 500 Euro monatlich neben dem Mandat tätig. Von den Liberalen sind es 3 Mitglieder des Parlaments und bei den Grünen eins.
Gesamtbewertung:
Mit einem knappen Drittel haben nicht wenige der deutschen Abgeordneten eine bezahlte Nebentätigkeit, wobei die CDU/CSU hier mit über 50% ihrer Abgeordneten besonders hervorsticht. Ihr gehören auch die vier Abgeordneten an, die in den Kategorien drei und vier verdient haben.
Mindestens drei von diesen vier sind auch als problematisch zu bezeichnen: Einen potenziellen Interessenkonflikt sehen wir sowohl bei Elmar Brok (Berater der Bertelsmann AG) als auch bei Klaus-Heiner Lehne (Partner der Anwaltskanzlei Taylor Wessing Düsseldorf). Klaus-Heiner Lehne ist außerdem Vorsitzender des Rechtsausschusses im Europäischen Parlament. Aber auch Burkhard Balz, der seine sieben Vorträge in den letzten beiden Jahren ausschließlich bei Banken und Lobbyverbänden der Finanzbranche gehalten hat und Mitglied im Ausschuss für Wirtschaft und Währung ist, unterliegt einem potenziellen Interessenkonflikt – ebenso wie einige der Abgeordneten, die zwischen 1.000 und 5.000 Euro monatlich verdienen. Dies betrifft z.B. die Anwältinnen und Anwälte, die in Großkanzleien mit europäischem Politikbezug tätig sind.
Quelle: LobbyControl- Initiative für Transparenz und Demokratie, Friedrichstr. 63, 50676 Köln, Tel: 0221/ 169 65 07, www.lobbycontrol.de