Es ist ein Wettlauf mit der Zeit: Ab August 2013 werden alle Kleinkinder, die mindestens ein Jahr alt sind, einen Rechtsanspruch auf einen Betreuungsplatz in einer Kindertagesstätte oder bei einer Tagesmutter haben. Wird er nicht erfüllt, drohen den Kommunen Klagen. Die Bundesregierung war zunächst davon ausgegangen, dass zur Einlösung der gesetzlichen Betreuungsgarantie 750.000 Plätze für Kleinkinder unter drei Jahren erforderlich seien.
Die bislang vorhandenen Kapazitäten liegen weit darunter: Im März 2012, so die derzeit aktuellsten Zahlen des Statistischen Bundesamtes, konnten lediglich 558.000 Kinder dieser Altersgruppe betreut werden. Obwohl der Ausbau also den Plänen noch deutlich hinterhinkt, berät der Bundestag heute in zweiter und dritter Lesung über Mittel für 30.000 zusätzliche Betreuungsplätze. Mit den insgesamt 780.000 angepeilten Plätzen wäre bei den Kindern zwischen einem und drei Jahren eine Betreuungsquote von 39 Prozent erreicht. Nach Einschätzung der Bundesregierung reicht das aus, um den Bedarf in dieser Altersgruppe zu decken.
Europäische Vergleichsdaten lassen allerdings vermuten, dass auch damit lediglich ein Anfang gemacht wäre: „Selbst wenn es gelingen sollte, die Betreuungsgarantie umzusetzen, dann wird das nur der Auftakt zu einem ständigen Wettrennen zwischen Angebot und Nachfrage sein“, schreibt Eric Seils, der Sozialforscher am WSI. Er hat die Zahlen aus einer Reihe europäischer Länder ausgewertet. Aus diesem Vergleich leitet Seils eine Daumenregel ab, wonach der Betreuungsbedarf langfristig auf bis zu 60 Prozent der Kinder unter drei Jahren ansteigen kann.
In Europa oft Betreuungsquoten zwischen 35 und 50 Prozent. Wie stark die Nachfrage steigen könnte, zeigt schon ein erster Blick auf die Betreuungsanteile in 18 europäischen Staaten. Im Jahr 2010, dem letzten, für das beim EU-Statistikamt Eurostat Daten auf vergleichbarer Basis vorliegen, rangierte die Bundesrepublik mit einer Quote von 20 Prozent auf einem der hinteren Plätze – nur Griechenland und Österreich wiesen niedrigere Werte auf. In den meisten Vergleichsländern gingen zwischen 35 und 50 Prozent der Unter-Dreijährigen in eine Kindertagesstätte oder zur Tagesmutter. Dabei schätzen nationale Experten in Ländern wie Großbritannien, Luxemburg und selbst Frankreich, die im unteren oder mittleren Bereich dieser Spanne liegen, das Betreuungsangebot als nicht ausreichend ein. An der Spitze lag Dänemark: Dort wurden knapp 80 Prozent der Kleinkinder bis drei Jahren betreut, die meisten davon über mehr als 30 Stunden in der Woche.
Der Bedarf wächst mit dem Angebot. Über Jahre hinweg wächst mit einem steigenden Angebot auch der Bedarf nach Betreuungsleistungen. Eric Seils erklärt das so: Wenn immer mehr Eltern ganztags arbeiten und ihre Kinder betreuen lassen, verändern sich soziale Normen. Die Akzeptanz von Kitas und Tagesmüttern wächst weiter und es gilt zunehmend als normal, dass sowohl Väter als auch Mütter voll am Erwerbsleben teilnehmen. Hinzu kommen ganz praktische Faktoren. So berichten Wissenschaftler aus Dänemark, dass Kinder, die zu Hause betreut werden, immer weniger Spielkameraden finden, weil die meisten Gleichaltrigen in der Kita sind.
Betreuungsgelder, die den Bedarf nach externer Betreuung grundsätzlich dämpfen können, gibt es in Schweden und in Finnland.
In Schweden, wo Eltern monatlich 340 Euro erhalten, habe diese Geldleistung faktisch wenig Einfluss auf die Betreuungsquote, schreibt Seils mit Verweis auf die Forschungsliteratur. In Finnland sei das Betreuungsgeld hingegen noch deutlich höher – und offensichtlich wirke es sich aus: Die Quote der externen Kinderbetreuung lag 2010 nach den Eurostat-Daten bei knapp 30 Prozent. Vor allem Frauen mit niedrigen Verdienstaussichten betreuten ihre Kinder selber.
Quelle: www.boeckler.de