Die wirtschaftspolitische Bilanz von Bundeskanzlerin Dr. Angela Merkel fällt nach zehn Jahren im Amt gemischt aus. „Frau Merkel hat sich auch in der Wirtschaftspolitik als große Pragmatikerin erwiesen. Das ist ihre Stärke und ihre Schwäche“, sagt Prof Dr. Gustav Horn, der wissenschaftliche Direktor des Instituts für Makroökonomie und Konjunkturforschung (IMK) der Hans-Böckler-Stiftung.
„Gemessen an vielen Positionen, die sie als Oppositionspolitikerin vertreten hat, haben wir in ihrer Amtszeit einige unerwartet flexible Lösungen für schwierige Probleme gesehen. Das gilt insbesondere für den Höhepunkt der Finanz- und Wirtschaftskrise 2008 und 2009. Damals hat sie, gemeinsam mit Koalitionspartner und Sozialpartnern, rasch und entschlossen gehandelt. Sie hat mutige Entscheidungen zur Stabilisierung von Konjunktur und Beschäftigung verantwortet, die der deutschen Lehrbuchökonomie zum Teil eklatant widersprochen haben. Und sie hat damit großen Erfolg gehabt“, so Horn.
Auf der Negativseite sieht der Ökonom vor allem das Management der Krise im Euroraum: „Die deutsche Regierung hat einige gefährliche Zuspitzungen eher forciert als entschärft und oft erst im allerletzten Moment die Kurve gekriegt. Dass der Euro mehrmals am seidenen Faden hing, hatte auch sehr viel mit der Berliner Politik zu tun. Frau Merkel selbst hat mit der ´schwäbischen Hausfrau’ ein ebenso eingängiges wie wirtschaftspolitisch gefährliches Bild geschaffen. Man kann Volkswirtschaften eben nicht einfach organisieren wie Privathaushalte.“
Das führe zu eklatanten Widersprüchen: „In Deutschland sucht Frau Merkel die Zusammenarbeit mit den Gewerkschaften, und sie erkennt das Tarifsystem und die Mitbestimmung der Arbeitnehmer völlig zu Recht als Faktoren an, die zur Stärke unserer Wirtschaft beitragen. Doch gleichzeitig unterminiert die von der deutschen Regierung vehement unterstützte europäische Politik in den Krisenländern diese Institutionen.“
Wie sich der wirtschaftspolitische Kurs der Kanzlerin weiterentwickle, ist nach Einschätzung des IMK-Direktors derzeit offen. „Sie hat beispielsweise einerseits akzeptiert, dass mit dem gesetzlichen Mindestlohn eine wichtige wirtschafts- und sozialpolitische Reform umgesetzt wurde, die beileibe nicht ihr Herzensthema war. Andererseits tut sie derzeit wenig, um sicherzustellen, dass diese Reform nicht durch noch mehr Ausnahmen ausgehebelt wird.“ Gerade angesichts der starken Zuwanderung stehe die Kanzlerin vor der Herausforderung, „komplexe Probleme nicht mit allzu einfachen Rezepten lösen zu wollen. Immerhin: Sie hat gezeigt, dass sie mit solchen Herausforderungen umgehen kann.“
Prof. Dr. Gustav A. Horn / Wissenschaftlicher Direktor IMK
Rainer Jung / Leiter Pressestelle
Quelle: www.boeckler.de