Vor allem in Griechenland, Portugal, Spanien und Italien sind Beschäftigte heute wesentlich schlechter vor Entlassungen geschützt als vor einigen Jahren. Das ist ein Resultat der europäischen Krisenpolitik. Mehr Beschäftigung bringt die Deregulierung nicht, zeigen empirische Studien.
Für einen kurzen Moment sah es so aus, als sei die Zeit der ständigen Rufe nach flexibleren Arbeitsmärkten vorbei. Die Finanzkrise hatte den Glauben an die Vorzüge des unregulierten Markts infrage gestellt. Doch die orthodoxen ökonomischen Annahmen und Theoreme erwiesen sich als hartnäckig.
Trotz empirischer Widerlegung „weigerten sie sich zu sterben“, wie es Jason Heyes und Paul Lewis von den Universitäten Sheffield und Birmingham ausdrücken. Die Wissenschaftler haben untersucht, wie sich die Gesetzgebung zum Kündigungsschutz in Europa in der Vergangenheit entwickelt hat – und welche Arbeitsmarkteffekte dies hatte.Ergebnis: Es gibt keinen eindeutigen, für alle Zeiten gültigen Zusammenhang zwischen Kündigungsschutz und Beschäftigung. Das zeigt eine Gesamtschau der entsprechenden Untersuchungen. Ebenso wenig gebe es allerdings eine Garantie dafür, dass Theorien, die sich nicht durch harte Fakten belegen lassen, aus diesem Grund von Politik und Wissenschaft zu den Akten gelegt würden, so Heyes und Lewis.
Das theoretische Argument gegen Regulierung ist simpel: Wenn Unternehmen Beschäftigte nicht ohne Weiteres kündigen können, stellten sie weniger Personal ein als möglich, die Erwerbslosen bekämen keine Chance und die Arbeitslosigkeit verfestige sich.
Konfrontiert mit dem Befund, dass überzeugende empirische Belege fehlen, weichen Kündigungsschutzgegner gelegentlich auf die Vermutung aus, dass zumindest bestimmte Gruppen wie Berufsanfänger, Geringqualifizierte oder Behinderte seltener eingestellt würden. Auch hier kommen Studien nicht zu eindeutigen Ergebnissen, schreiben Heyes und Lewis.
Im Übrigen gebe es auch theoretische Argumente für den Kündigungsschutz: Sichere Arbeitsplätze schaffen erst die Voraussetzung für berufliches Engagement, langfristig orientierte Teamarbeit – und damit für hohe Produktivität und Wachstum.
In der Vergangenheit galt in weiten Teilen der EU jedoch eine andere Devise. Dänemark, Belgien, Frankreich, Finnland, Griechenland, die Niederlande, Spanien, Schweden, Großbritannien und Deutschland haben ihre Regeln zum Schutz der Beschäftigten in den 1980er- bis 2000er-Jahren gelockert oder den Abschluss befristeter Verträge erleichtert.
Für Deutschland nennen die Forscher beispielhaft das Beschäftigungsförderungsgesetz von 1985 und die Hartz-Reformen. Die Europäische Kommission legte sich auf das „Flexicurity“-Konzept fest, das Beschäftigungssicherheit statt Arbeitsplatzsicherheit bieten sollte.
Im Klartext: Es geht nicht darum, einen bestimmten Job zu behalten, sondern darum, stets irgendeinen Job zu haben. Um Flexicurity-Skeptiker zu besänftigen, schreiben Heyes und Lewis, wurde die Forderung nach weniger Kündigungsschutz zwischenzeitlich leiser vorgetragen. Doch nachdem „die Bankenkrise zur Eurokrise mutiert war“, hätten EU-Kommission, Europäische Zentralbank und Internationaler Währungsfonds im Gegenzug für Unterstützungszahlungen auf „Strukturreformen“ bestanden. Neben Kürzungen im Sozialbereich fiel darunter weniger Kündigungsschutz.
Für Neueingestellte kann die Probezeit in Griechenland nun zwölf Monate lang dauern, Massenentlassungen bedürfen in Spanien keiner behördlichen Genehmigung mehr, in Portugal wurden die Abfindungen gekürzt. Befristete Verträge zu schließen, ist heute überall wesentlich einfacher. Aber nicht nur in Südeuropa ist der Kündigungsschutz in jüngster Zeit löchriger geworden. Auch Ungarn und Großbritannien haben das Niveau gesenkt. So müssen Arbeitnehmer im Vereinigten Königreich nun mindestens 24 statt 12 Monate beschäftigt gewesen sein, um Schadenersatz wegen ungerechtfertigter Kündigung bekommen zu können.
Erkennbare Auswirkungen auf den Beschäftigungsstand hatte all dies bislang nicht, konstatieren Heyes und Lewis. Im Süden Europas herrscht Massenarbeitslosigkeit. Besonders bei der Jugendarbeitslosigkeit weist der Trend vielerorts weiter nach oben. Eher unbeeindruckt von der Krise zeigten sich dagegen die noch vergleichsweise stark regulierten Arbeitsmärkte in Deutschland oder Österreich, was selbst die häufig deregulierungsfreundliche OECD 2011 hervorhob.
Gerade am deutschen Beispiel zeigen sich den Forschern zufolge die Vorzüge des Kündigungsschutzes: Statt auf Entlassungen setzten hiesige Unternehmen mit Mitteln wie Kurzarbeit und Arbeitszeitkonten auf interne statt externe Flexibilität. Eine dramatische Beschäftigungskrise blieb trotz des Einbruchs der Wirtschaftsleistung aus.
Jason Heyes, Paul Lewis: Relied upon for the heavy lifting: can employment protection legislation reforms lead the EU out of the jobs crisis?, in: Industrial Relations Journal 2/2015
Quelle: www.boeckler.de