„Neuer Gipfel – gleiches Ergebnis“ – so lautete eine der Schlagzeilen nach dem jüngsten Treffen von Angela Merkel und Alexis Tsipras. Kurz vorher machten Meldungen die Runde, die Europäische Zentralbank (EZB) habe die Nothilfen für Griechenland erneut aufgestockt.
Was wir in diesen Wochen erleben, erinnert an den Film mit dem Murmeltier, das täglich grüßt: Die Mächtigen in der Eurozone sitzen tagelang, nächtelang, und verhandeln über die Zukunft Griechenlands. Zwischendurch treten übernächtigte Politiker vor die Kameras und beklagen die Uneinsichtigkeit der jeweils anderen Seite, während die Zahlungsunfähigkeit Griechenlands immer näher rückt. Zwischendurch erkauft die EZB den Politikern immer wieder Zeit, um weiter zu verhandeln, und die griechische Regierung kratzt ihr Geld zusammen, um zumindest die Schulden an den prinzipienfesten Internationalen Währungsfonds zurückzuzahlen.Was inzwischen als „business as usual“ erscheint, ist offensichtlich nicht nachhaltig. Es ist an der Zeit, dieses Ritual zu durchbrechen. Dass Griechenland in absehbarer Zeit wieder auf eigenen Beinen stehen kann, ist schwer vorstellbar. Die griechische Wirtschaft ist weiterhin nicht wettbewerbsfähig. So wie sie derzeit strukturiert ist, ist es unmöglich, wachsende Handelsbilanzdefizite in Relation zum Bruttoinlandsprodukt zu vermeiden, ohne weitere Wirtschaftsflauten zu generieren. Zwar hat Griechenland durch einige Strukturreformen signifikante Fortschritte gemacht, diese sind allerdings weit davon entfernt, wirklich auszureichen.
Ein nicht effizientes Steuersystem gepaart mit Korruption besteht weiter: Zwischen 1999 und 2007 wurden Steuern im Umfang von fast einem Drittel des Bruttoinlandsprodukts hinterzogen. In jüngster Zeit hat sich die Lage nur marginal verbessert. Die resultierenden Mindereinnahmen haben dafür gesorgt, dass Einschnitte im Gesundheits- und Bildungssektor notwendig waren.
Den Hebel für einen grundlegenden Strategiewechsel hält die EZB in der Hand: Mit ihren Staatsanleihekäufen im großen Stil und vor allem der so genannten Emergency Liquidity Assistance (ELA) hat sie der Politik bislang Zeit für das Finden von Lösungen verschafft. Die ELA sind Notkredite, die die EZB der griechischen Notenbank gewährt, die damit wiederum das Bankensystem am Leben hält. Diese Mittel sind eigentlich nur als kurzfristige Nothilfe gedacht, sind allerdings in Griechenland zum Dauerzustand geworden. Die EZB hat inzwischen über 80 Milliarden Euro an ELA-Mitteln bereitgestellt – das ist das Doppelte der Haftungsmasse, über die die griechische Notenbank verfügt (41 Milliarden Euro). Teile dieses Geldes sind längst wieder außer Landes, weil einige Griechen ihre Bankkonten leer geräumt und die Guthaben ins Ausland transferiert haben.
Die ELA sind also hoch problematisch, und es wäre dringend an der Zeit, diese zu stoppen. Die EZB könnte kurzfristig einen transparenten Kriterienkatalog für die Insolvenz von Staaten vorlegen und müsste dann folgerichtig die Zahlungen in Richtung Griechenland stoppen. Das würde auch dafür sorgen, dass die Verhandlungspartner plötzlich unter einem enormen Druck stünden, eine schnelle Lösung herbeizuführen. Denn ohne ELA wäre es nur eine Frage von Tagen, bis das griechische Bankensystem kollabieren würde und das Land in eine Liquiditätskrise geriete.
Für Griechenland und seine Gläubiger bestünden dann zwei Handlungsoptionen. Die erste würde eine Staatsinsolvenz verhindern und Griechenland im Euro halten. Griechenland müsste unter dem entstehenden Handlungsdruck umfangreiche Strukturreformen akzeptieren, die ohnehin im langfristigen Interesse des Landes liegen. Dazu zählen ein konkreter, automatisch implementierbarer Zeitplan zur Flexibilisierung des Arbeitsmarktes, der Verkauf staatlicher Unternehmen, der Abbau bürokratischer Strukturen im öffentlichen Sektor und der Ausbau von Bildungsinvestitionen. Zugleich sollte Griechenland einen automatisch implementierbaren Fiskalplan aufstellen, der die langfristig angestrebte Schuldenquote, also das Verhältnis von Schulden zum Bruttoinlandsprodukt, festschreibt und den Zeitraum definiert, in dem diese Zielschuldenquote erreicht werden muss. Der Plan kann Mehrausgaben in Krisenzeiten erlauben – wenn sichergestellt ist, dass die Schulden in guten Zeiten auch wirklich zurückgezahlt werden.
Die Gläubiger sollten im Gegenzug einem weiteren Schuldenschnitt zustimmen. Der Grexit in der jetzigen Situation wäre ein sehr risikoreiches Experiment, das man, wenn irgend möglich, vermeiden sollte. Diese Option wäre für die Menschen in Griechenland und die Gläubiger die weniger schmerzhafte.
Die zweite Option – und die scheint derzeit wahrscheinlicher – wäre die Staatspleite. Sollte sie kommen, müsste sie allerdings kontrolliert vonstatten gehen: Griechenland sollte nicht erlaubt werden, sich einfach für zahlungsunfähig zu erklären und gleichzeitig Teil des Euro-Clubs zu bleiben. Das würde alle Bemühungen innerhalb der Eurozone für finanzpolitische Stabilität unterminieren. Griechenland aus dem Euro zu zwingen, wäre auch gefährlich, weil dies radikale Kräfte stärken und das Land damit politisch gefährlich instabil würde.
Stattdessen sollten die Gläubiger den freiwilligen Austritt Griechenlands aus dem Euro „erkaufen“. Sie müssten dafür Griechenland einen Großteil der Schulden erlassen und ein „Programm Neustart“ auflegen, das dem Land Reformen, Investitionen in Bildung und den Aufbau von Know-how in Zukunftstechnologien erlaubt.
Ohne seine gigantische Schuldenlast und die damit verbundenen Zinsen hätte Griechenland die Chance auf einen Neuanfang: Das Land müsste nicht zum gescheiterten Staat werden, sondern könnte sich außerhalb der Eurozone erneuern. Griechenland könnte in eigener Souveränität Reformen umsetzen, in die Wettbewerbs- und Innovationsfähigkeit seiner Wirtschaft investieren und die Korruption bekämpfen, um damit die Basis für langfristiges, nachhaltiges Wachstum zu legen. Eines Tages könnte das Land dann gestärkt, unter neuen Voraussetzungen und ohne geschönte Zahlen in die Eurozone zurückkehren – und Vorbild sein für einen echten Relaunch.
Zugleich wäre ein solcher Schritt auch ein echter Neuanfang für die restliche Eurozone, der mit einem immensen Erkenntnisgewinn einhergehen würde: Eine Währungsunion ohne ein Minimum an finanzpolitischer Koordination etwa durch Fiskalpläne kann nicht funktionieren. Und Hilfen, die Länder mit langfristigen strukturellen Defiziten bei der Wiederherstellung ihrer Wettbewerbsfähigkeit unterstützen, sind in diesem Kontext unabdingbar.
Griechenland und die Gläubiger haben zwei Möglichkeiten: Grundlegende Reformen im Gegenzug für einen Teilschuldenerlass – oder den kontrollierten Austritt aus der Euro-Zone. Beides wären mögliche Lösungsoptionen mit Vor- und Nachteilen, wobei ein Verbleib Griechenlands im Euro die bessere wäre. Was nicht geht, ist ein einfaches „Weiter so“ mit Rettungsverhandlungen in Endlosschleife. Es liegt in der Hand der EZB, diese Hängepartie zu beenden.
von Dennis J. Snower (* 14. Oktober 1950 in Wien) ist ein amerikanischer Wirtschaftswissenschaftler, Präsident des Instituts für Weltwirtschaft in Kiel sowie Professor für theoretische Volkswirtschaftslehre an der Christian-Albrechts-Universität zu Kiel.
Quelle: www.ifw-kiel.de