Um dem Warenaustausch zwischen Kanada und der EU neuen Schwung zu verleihen, starteten im Oktober 2009 die Verhandlungen für das Freihandelsabkommen CETA (Comprehensive Economic and Trade Agreement). Das Ergebnis hat die EU-Kommission im September 2014 veröffentlicht. Thomas Fritz, Experte für internationale Wirtschaftsbeziehungen, hat für die Hans-Böckler-Stiftung untersucht, wie der ausgehandelte Vertragstext zu bewerten ist. Ähnlich wie andere Freihandelsverträge verpflichte CETA die EU-Staaten und Kanada allgemein zu Liberalisierungen, schreibt Fritz. Zölle sollen wegfallen und Investoren freien Zugang zu Märkten erhalten. Generelle Ausnahmen seien nur in sehr engen Grenzen vorgesehen, etwa um die Gesundheit oder natürliche Ressourcen zu schützen.
Was die Rechte von Beschäftigten angeht, wären damit allenfalls Maßnahmen des Arbeitsschutzes zu rechtfertigen. Entsprechende Regelungen müssten laut Vertragstext „notwendig“ sein und dürften keine „willkürliche oder nicht zu rechtfertigende Diskriminierung“ sowie keine „verdeckte Behinderung des internationalen Handels“ darstellen. Zudem gelte der Investitionsschutz, der eine „billige und gerechte Behandlung“ von Anlegern vorschreibt.Das Problem: „Alle diese Bedingungen räumen einem Tribunal erhebliche Interpretationsspielräume ein“, so der Experte. Private Schiedsgerichte, wie sie CETA zur Streitschlichtung zwischen Staaten und Investoren vorsieht, neigten erfahrungsgemäß zu einer sehr weiten Auslegung von Investitionsschutzstandards. Demnach hätten Anleger ein Recht auf ein stabiles Regulierungsumfeld, das ihre legitimen Erwartungen erfüllt. Fritz hält es beispielsweise für denkbar, dass die deutsche Mietpreisbremse als Eingriff in die Rechte von Anlegern interpretiert werden könnte. Eine Berufungsinstanz, die ein entsprechendes Urteil aufheben könnte, sei dabei nicht vorgesehen, sondern werde lediglich vage in Aussicht gestellt.
Neben den – sehr restriktiven – allgemeinen Ausnahmen enthält CETA Sonderregeln für bestimmte Bereiche. Dabei greift das Prinzip der Negativliste: Alle nicht genannten Bereiche sind grundsätzlich zu liberalisieren. Laut dem Gutachten gilt das auch für etwaige neu entstehende Dienstleistungen oder Branchen. Zudem unterliegen bestimmte Vorbehalte dem sogenannten Sperrklinken-Mechanismus: Es darf zwar weiter dereguliert, aber keine Regulierung verschärft werden; künftige Liberalisierungen werden zu bindenden Verpflichtungen.
Zu den Bereichen auf der Negativliste gehören Dienstleistungen, „die in hoheitlicher Gewalt erbracht werden“. Teilweise unklar ist dem Autor zufolge, was für Bereiche wie die Daseinsvorsorge, Bildung, Gesundheit oder Kultur gilt, in denen private und öffentliche Anbieter existieren oder wo es eine öffentlich-private Mischfinanzierung gibt. „Audiovisuelle Dienstleistungen“ seien zwar von den Liberalisierungsverpflichtungen explizit ausgenommen, allerdings fehle eine klare Definition.
Da die Investitionsschutzstandards auch auf Subventionen anwendbar seien, könnten staatliche Ausgleichszahlungen für gemeinnützige Unternehmen wie Träger der freien Wohlfahrtspflege oder Krankenhäuser angreifbar sein, warnt Fritz. Zudem fehlten verbindliche Sozialklauseln in den Vorgaben für das öffentliche Beschaffungswesen. Die Folge: Tariftreueregelungen bei der Auftragsvergabe könnten mit CETA konfligieren.
Regelungen, die sich direkt auf Arbeit beziehen, finden sich laut der Studie nur im Kapitel über nachhaltige Entwicklung. Dort bekräftigen die Vertragspartner ihre Verpflichtungen als Mitglieder der ILO (International Labour Organization). Dass die Kanadier, die zwei der ILO-Konventionen bislang nicht ratifiziert haben, dies nun nachholen, schreibe CETA nicht vor. Zudem seien Verstöße gegen die Vereinbarungen zum Thema Arbeit nicht nach dem allgemeinen Streitschlichtungsmechanismus verhandelbar. Vorgesehen seien Gespräche – aber keine Sanktionen.
Thomas Fritz: Analyse und Bewertung des EU-Kanada-Freihandelsabkommens CETA, Berlin, Januar 2015
Quelle: www.boeckler.de