Im europäischen Vergleich steht Deutschland derzeit wirtschaftlich relativ gut da. Doch jenseits der Momentaufnahme zeigen sich große Defizite bei der Nachhaltigkeit. Das gilt auch für die öffentlichen Investitionen, die seit einem Jahrzehnt niedriger sind als die jährlichen Abschreibungen. Vor allem die Investitionsschwäche der Städte und Gemeinden sollte rasch behoben werden.
Zu diesem Ergebnis kommt ein neues Gutachten, in dem Fabian Lindner vom Institut für Makroökonomie und Konjunkturforschung (IMK) in der Hans-Böckler-Stiftung, Erik Klär vom Bundesarbeitsministerium und Kenan Šehovic vom thüringischen Wirtschaftsministerium der Frage nachgehen, wie sich der Wohlstand der deutschen Gesellschaft steigern und nachhaltiger gestalten lässt. Das Gutachten ist Teil eines Projektes zur Erarbeitung eines neuen „Wohlstands- und Nachhaltigkeitsgesetzes“ auf Basis eines „Neuen Magischen Vierecks“, das vom Denkwerk Demokratie e.V., der Friedrich-Ebert-Stiftung und dem IMK gemeinsam initiiert wurde und durchgeführt wird.Die deutschen Kommunen stellen die wesentlichen Leistungen der Daseinsvorsorge bereit: Sie verantworten weite Teile der Straßen und der Verkehrsinfrastruktur – also auch den öffentlichen Personennahverkehr. Sie sind für die Kinderbetreuung und Schulgebäude zuständig, die Wasserver- und -entsorgung sowie Teile der Energie- und Abfallwirtschaft. Auch die soziale Unterstützung für Empfänger von ALG II und Behinderte ist zum großen Teil auf kommunaler Ebene angesiedelt.
„Somit sind die Gemeinden zentral, wenn es um die konkrete Umsetzung der Forderungen nach besserer Bildung, Ausbau der Kinderbetreuung und einer Energiewende geht, die in der Gesellschaft derzeit einen besonders hohen Stellenwert genießen“, schreiben Klär, Lindner und Šehovic.
Ihre Analyse zeigt: Seit 1991 hat sich der Anteil der kommunalen Investitionen an der Wirtschaftsleistung halbiert; allein zwischen 2003 und 2012 ist dadurch eine Investitionslücke von 52 Milliarden Euro entstanden. Auch 2013 dürfte der Rückstand weiter wachsen, weil die Kommunen deutlich weniger als die 25 Milliarden Euro investieren werden, die die Forscher als jährlichen Bedarf errechnet haben. Insgesamt konnten diese zwar im vergangenen Jahr das erste Mal seit 2008 wieder einen Haushaltsüberschuss erzielen. Dies verdecke jedoch Unterschiede zwischen den Kommunen: 30 Prozent von ihnen haben weiterhin erhebliche Haushaltsdefizite.
Besonders in strukturschwachen Regionen bleiben die Sozialausgaben der Städte und Gemeinden stabil oder nehmen zu, ihre Einnahmen hingegen fallen. Sie sind zunehmend von Zuweisungen der Länder und des Bundes abhängig. Vor allem die Länder stehen jedoch durch die 2009 verabschiedete Schuldenbremse unter erheblichem Konsolidierungsdruck.
Insgesamt sollten sich nach den Berechnungen der Forscher die kommunalen Investitionen in der nächsten Legislaturperiode mehr als verdoppeln: von derzeit 0,75 Prozent der jährlichen Wirtschaftsleistung auf 1,6 Prozent. Was recht unspektakulär klingt, ist nach ihrer Analyse ein zentraler erster Schritt – und ein Kraftakt.
Städte und Gemeinden haben schließlich kaum Möglichkeiten, ihre Einnahmen selbst zu bestimmen. „Zentral sind deswegen auch für die Ausstattung der Kommunen die gesamtstaatlichen Steuereinnahmen und Ausgaben, die mittelbar über die verfügbaren Finanzmittel der Länder und des Bundes auch die Höhe der Zuweisungen für die Kommunen bestimmen“, so die Autoren. Besonders die Beseitigung des bisherigen Investitionsstaus ließe sich ähnlich dem „Zukunftsinvestitionsgesetz“ aus dem zweiten Konjunkturpaket über direkte Finanzhilfen des Bundes finanzieren.
Darüber hinaus empfehlen Klär, Lindner und Šehovic, Städte und Gemeinden stärker von Sozialausgaben zu entlasten: „Dabei sind zwar schon erste Schritte bei der Grundsicherung im Alter und der Erwerbsminderung getan, aber auch die Kosten der Unterkunft beim ALG II, die Eingliederungshilfen für Behinderte, der Ausbau der Kinderbetreuung und der Ganztagsschulen oder der Inklusion müssten verstärkt vom Bund übernommen werden.“
Die momentane staatliche Finanzausstattung werde allerdings nicht ausreichen, um die öffentlichen Investitionen im notwendigen Ausmaß zu erhöhen, ohne dabei andere Ausgaben stark zu kürzen. Die vom Bundesfinanzministerium und manchen Wirtschaftsforschern für die kommenden Jahre prognostizierten zusätzlichen Steuereinnahmen halten die Experten für zu gering und zu unsicher: Die konjunkturellen Risiken seien so groß, dass sie „heutige Projektionen zum strukturellen Defizit und damit zum staatlichen Finanzierungsspielraum schnell zur Makulatur werden lassen könnten“. Aufgrund der Anforderungen der Schuldenbremse seien daher höhere Steuereinnahmen nahezu unumgänglich. Die Wissenschaftler empfehlen höhere Steuern auf Erbschaften, Schenkungen und Vermögen. Diese seien in Deutschland im internationalen Vergleich besonders gering und würden bereits bei einer moderaten Erhöhung beträchtliche Mehreinnahmen bringen.
Weitere Informationen: Erik Klär, Fabian Lindner, Kenan Šehovic: Das Neue Magische Viereck nachhaltiger Wirtschaftspolitik, Maßnahmen zur Steigerung des gesamtgesellschaftlichen Wohlstands in der neuen Legislaturperiode (pdf), Friedrich-Ebert-Stiftung, Oktober 2013.
Quelle: www.boeckler.de